Aktionsfeld C: Wohnen
Artikel 19 „Unabhängige Lebensführung“
Wohnen ist ein wesentliches Thema für Menschen im Allgemeinen und für Menschen mit Behinderung im Besonderen. Für Menschen mit Behinderung hängt das Thema Wohnen eng mit dem Recht auf eine selbstbestimmte Lebensführung und Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen zusammen. Denn wo und wie ein Mensch wohnt, beeinflusst stark die Möglichkeiten, sein Lebensumfeld zu gestalten und am sozialen Leben teilzunehmen.
Laut Artikel 19 a der UN-BRK haben Menschen
mit Behinderung ebenso wie Menschen ohne Behinderung das Recht frei zu entscheiden, wo und wie bzw. mit wem sie leben wollen. Nicht immer ist das Menschen mit Behinderung im gleichen Maße möglich wie Menschen ohne Behinderung.
Eine notwendige Voraussetzung für eine freie Entscheidung, wo und wie man leben möchte, ist ausreichend vorhandener barrierefreier Wohnraum, der auch im Rahmen der Sozialhilfe finanzierbar ist. Dieser steht derzeit in den Kommunen vielerorts längst nicht ausreichend zur Verfügung. Die Bereitstellung von Wohnraum ist in erster Linie Aufgabe der Länder, Städte und Gemeinden. Diese sind in den letzten Jahren vermehrt bemüht, diesem Defizit entgegenzuwirken.
Für Menschen mit Beeinträchtigungen, die sich nicht alleine versorgen können, werden verschiedene Formen des organisierten Wohnens und der Unterstützung angeboten. Mit der dritten Reformstufe des BTHG zum 01.01.2020 wurde die ursprüngliche einrichtungsorientierte Vollversorgung nach dem SGB XII verändert und in eine personenzentrierte Leistungserbringung umgewandelt. Dementsprechend sind Assistenzleistungen keine Pauschalleistungen mehr, sondern werden individuell und bedarfsorientiert erbracht, mit dem Ziel, eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen. Mit dieser Neuerung entfällt auch die bisherige Trennung zwischen ambulantem und stationärem Wohnen. Die bisherigen stationären Wohnformen wurden zu sog. „besonderen Wohnformen“ weiterentwickelt. Leistungserbringer müssen ihre pädagogischen Konzepte anpassen, Leistungsträger die Finanzierungskonzepte der Leistungen und Menschen mit Behinderung sind stärker gefordert, selbst Entscheidungen für sich zu treffen.
Die UN-BRK fordert im Artikel 16 die Vertragsstaaten auf, umfassend geeignete Maßnahmen zum Gewaltschutz für Menschen mit Behinderungen, insbesondere für Frauen, zu treffen. Menschen mit Behinderung sind je nach Alter und Geschlecht einer zwei- bis vierfach höheren Gewaltbelastung ausgesetzt als Menschen ohne Behinderung. Für Personen, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben ist es besonders schwer, auf Unterstützungsstrukturen zurückzugreifen. Diese sind oft nicht barrierefrei erreichbar und auch nicht auf diese Zielgruppe ausgerichtet. Im Teilhabestärkungsgesetz (2021) wurden die Träger der Eingliederungshilfe verpflichtet, geeignete Maßnahmen zum Gewaltschutz von Menschen mit Behinderung zu treffen. Die Umsetzung dieser Maßnahmen ist eine Querschnittsaufgabe und bedarf vieler Akteure/-innen von der Gesetzgebung über die Leistungsträger der Eingliederungshilfe und der Trägerverbände bis hin zum Fachpersonal in den Einrichtungen. Wichtige Säulen für eine wirksame Gewaltschutzstrategie sind u. a. eine ausreichende personelle Ausstattung mit ausgebildeten Fachkräften, Empowerment, Mitwirkung von Menschen mit Behinderungen, die Öffnung des Sozialraums und die Vernetzung mit den Unterstützungssystemen vor Ort sowie die Überwachung der Umsetzung durch Fachaufsichten.
An die genannten Punkte möchte der Bezirk Schwaben anknüpfen und mit verschiedenen Maßnahmen zur Verwirklichung der Rechte der UN-BRK im Themenfeld Wohnen in der Region Schwaben beitragen.
Dem Bezirk Schwaben ist es wichtig, verschiedene und vielfältige Wohnangebote für Menschen mit Behinderung vorzuhalten, damit diese – je nach Lebensabschnitt und individuellen Bedürfnissen – nutzen können. So gibt es verschiedene Angebote, die mit den Trägern in Schwaben gemeinsam entwickelt wurden: besondere Wohnformen (ehemals stationäres Wohnen), ambulante Versorgungsstrukturen, inklusive Wohngemeinschaften in unterschiedlichen Konstellationen, Trainingsmaßnahmen zur Vorbereitung auf das selbständige Wohnen betreutes Wohnen in Gastfamilien und Assistenzleistungen in der eigenen Wohnung.
Der Fachleistung im häuslichen Umfeld (ehemals ambulant betreutes Wohnen) kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Es ermöglicht Menschen mit Behinderung ein höheres Maß an Selbstbestimmung als eine Wohnform im stationären Setting. Deswegen bemühen sich Politik, Sozialverwaltung und Leistungsanbieter seit einigen Jahren erfolgreich, ambulante Settings auszubauen. So erhöhte sich in Schwaben die „Ambulantisierungsquote“ von 37,7 Prozent im Jahr 2017 auf 41,3 Prozent im Jahr 2019. Dem Bezirk Schwaben ist es sehr wichtig, die Vielfalt der Angebote auszubauen, indem er beispielsweise neuere Angebote wie inklusive Wohngemeinschaften stärkt. Besonders bedeutsam für die Zukunft ist es für den Bezirk, gemeinsam mit Interessensvertreter/-innen und Trägern, passende Wohnkonzepte für Menschen mit Behinderung im Alter zu entwickeln, die den unterschiedlichen Bedarfen Rechnung tragen und eine gute Versorgung sicherstellen.
Ein besonderer Fokus bei den Wohnangeboten in der Region gilt Menschen mit multiplem Hilfebedarf. Sie benötigen oftmals eine spezielle Zusammenstellung an verschiedenen Unterstützungsleistungen, welche reguläre Versorgungssysteme nur bedingt abbilden können. Dem Bezirk Schwaben ist es ein Anliegen, gemeinsam mit den Trägern und Einrichtungen der Eingliederungshilfe wie auch der Pflege, tragfähige Angebote zu entwickeln und Versorgungslücken zu schließen. Zu diesem Thema hat der Bezirk bereits einen Fachtag organisiert und wird weitere Maßnahmen angehen, wie zum Beispiel die Einführung eines Case-Management für besonders komplex gelagerte Fälle.
Nicht alle Menschen mit Behinderung leben in Wohnformen oder alleine. Viele Menschen leben zu Hause und werden von Angehörigen versorgt. Deswegen ist es wichtig, Entlastungsmöglichkeiten für die Angehörigen zu schaffen. Der Bezirk Schwaben sorgt mit den Trägern der Eingliederungshilfe dafür, dass in der Region ausreichend Entlastungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige von Menschen mit Behinderungen vorhanden sind. Dazu wurde eine Arbeitsgruppe „Kurzzeitpflege“ mit den Verbänden im Rahmen der Bezirkskommission Eingliederungshilfe ins Leben gerufen. Diese beschäftigt sich mit der bedarfsgerechten Versorgungsstruktur. Zudem wird parallel mit der Hochschule Kempten eine regionen-spezifische Bedarfserhebung ausgearbeitet. Zugleich wird in Augsburg eine Kurzzeitpflegeeinrichtung für Kinder und Jugendliche mit schweren Beeinträchtigungen errichtet.
Der Bezirk Schwaben nimmt die Gewaltschutzprävention für Menschen mit Behinderung in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe und Pflege sehr ernst. Er möchte einen Beitrag zu der Entwicklung und Umsetzung von wirksamen Gewaltschutzkonzepten in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe leisten. Gemeinsam mit den Verbänden und den Selbstvertretungsgruppen setzt er sich im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags für die Entwicklung und Umsetzung geeigneter Maßnahmen mit einheitlichen Qualitätsstandards ein.
Nr. | Maßnahme | Federführende Steuerung | Beteiligung | Zeitrahmen |
---|---|---|---|---|
C1 | Rahmenbedingungen Betreutes Wohnen in Gastfamilien weiterentwickeln. | Stabsstelle Soziale Projekte, Sachgebiet Kompetenzzentrum Sozialpsychiatrie | Gesundheits- und Sozialausschuss | 2022 |
C2 | Rahmenbedingungen Betreutes Wohnen im Rahmen der Bezirkskommission Eingliederungshilfe weiterentwickeln. | Sachgebiet Pflegesatz | Verbände | Ab 2023 |
C3 | Fachtag zum Thema inklusive Wohngemeinschaften organisieren. | Soziale Projekte | Sozialverwaltung | 2023 |
C4 | Unterstützung beim Aufbau inklusiver Wohngemeinschaften gewährleisten. | Soziale Projekte | Sachgebiet Pflegesatz | 2023 |
C5 | Wohnkonzepte für Menschen mit Behinderung im Alter entwickeln. | Sozialverwaltung | Gesundheits- und Sozialausschuss | Ab 2023 |
Nr. | Maßnahme | Federführende Steuerung | Beteiligung | Zeitrahmen |
---|---|---|---|---|
C6 | Aufbau einer bedarfsgerechten Versorgungsstruktur mit Kurzzeit-Wohnplätzen für erwachsene Menschen mit Behinderung. | Sachgebiet Pflegesatz | Wohlfahrtsverbände, Gesundheits- und Sozialausschuss | In Bearbeitung |
C7 | Regionsspezifische Datenerfassung mit wissenschaftlicher Begleitung zur Bedarfsfeststellung von Kurzzeit-Wohnplätzen für erwachsene Menschen mit Behinderung. | Sachgebiet Pflegesatz | Wohlfahrtsverbände | In Bearbeitung |
C8 | Sicherstellung eines einheitlichen und durchgängigen Vergütungssystems von Kurzzeit-Wohnplätzen. | Sachgebiet Pflegesatz | Gesundheits- und Sozialausschuss | In Bearbeitung |
Nr. | Maßnahme | Federführende Steuerung | Beteiligung | Zeitrahmen |
---|---|---|---|---|
C9 | Organisation und Durchführung des Fachtages „Lücke im System“. | Sozialverwaltung | Verbände, Träger der Eingliederungshilfe und Pflege | 2021 |
C10 | Erarbeitung weiterführender Handlungsansätze zur Verbesserung der Angebotsstruktur für Personen mit besonderen Hilfebedarfen in verschiedenen Gremien z. B. Sozialkonferenz und Gesundheits- und Sozialausschuss. | Sozialverwaltung | Verbände, Träger der Eingliederungshilfe und Pflege | in Bearbeitung |
C11 | Einführung des Case Managements in besonders komplex gelagerten Fallkonstellationen zur passgenauen individuellen Versorgung. | Sachgebiet Sozialpädagogisch Medizinischer Dienst | Sachgebiet Pflegesatz, Leistungssachgebiete | 2022 |
C12 | Aufbau von permanent vorzuhaltenden Wohnplätzen für Jugendliche mit sehr komplexen Unterstützungsbedarfen zur Krisenintervention. | Sozialverwaltung | Wohlfahrtsverbände, Bezirkskrankenhäuser | Ab 2023 |
C13 | Zur Palliativversorgung in der Eingliederungshilfe für Kinder und Erwachsenen wird eine Arbeitsgruppe bestehend aus Vertreter/ -innen der Politik, der Sozialverwaltung, den Wohlfahrtsverbänden und Experten/-innen gegründet. | Stabsstelle Soziale Projekte | Sozialverwaltung, Politik, Wohlfahrtsverbände, Experten | In Bearbeitung |
Nr. | Maßnahme | Federführende Steuerung | Beteiligung | Zeitrahmen |
---|---|---|---|---|
C14 | Landesrahmenvereinbarung: Dafür einsetzen, dass wirksame Gewaltschutzkonzepte mit einheitlichen Qualitätsstandards verabschiedet werden. | Sachgebiet Pflegesatz | Bayerische Bezirke, Verbände, Selbstvertretungsgruppen | In Bearbeitung |
C15 | Individuelle Leistungsvereinbarungen: Konkrete Vereinbarung mit den Trägern zur Umsetzung der Gewaltschutzkonzepte schließen. | Sachgebiet Pflegesatz | Verbände und Selbstvertretungsgruppen | In Bearbeitung |
C16 | Überprüfung der Umsetzung der Gewaltschutzund Interventionskonzepte im Rahmen der Qualitätsprüfungen. | Sachgebiet Pflegesatz | Fachstelle Pflegeund Behinderteneinrichtungen, Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA) | Laufend |