„Auch der ‘Gnadentod‘ ist Mord“. Neue Publikation des Bildungswerks des Bayerischen Bezirketags zum Augsburger Strafprozess über die NS-„Euthanasie“-Verbrechen in Kaufbeuren und Irsee erschienen.

04. November 2019: Vor siebzig Jahren, im Juli 1949, verhandelte das Schwurgericht beim Landgericht Augsburg über die NS-Patientenmorde in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee. Angeklagt waren der damalige Ärztliche Direktor Dr. Valentin Faltlhauser, die Krankenschwestern Mina Wörle und Olga Ritter, der Krankenpfleger Paul Heichele aus Irsee sowie der Verwaltungsbeamte Georg Frick.

Das Gericht war akribisch darum bemüht, das Geschehen in der Anstalt mit den strengen Beweismitteln des Strafprozesses festzuhalten. Auch wenn die Strafzumessung erschreckend gering ausfiel, ist mit diesem Prozess doch auch ein wesentlicher Beitrag zur Aufklärung der NS-Patientenmorde und zur gesellschaftlichen Anerkennung des begangenen Unrechts geleistet worden. Der Historiker Dr. Dietmar Schulze (Leipzig) zeichnet deshalb den Ermittlungs- und Prozessverlauf minutiös nach und stellt alle Prozessbeteiligten vor – neben den Angeklagten und Zeugen vor allem die Richter, Staatsanwälte und Verteidiger, die bislang kaum Beachtung fanden.

Die jüngste Publikation der Schriftenreihe IMPULSE des Bildungswerks ergänzt die in den vergangenen Jahren erschienenen Detailstudien zur Irseer Anstaltszeit. Aus der Zeugen-Perspektive von Zeitgenossen berichteten „Geistliche Quellen“ von den in Irsee verübten Krankenmorden (2013). Die Opfer in den Mittelpunkt stellten das „Irseer Totenbuch“ (2015) mit der Nennung aller verstorbenen bzw. ermordeten Patientinnen und Patienten sowie das Verzeichnis der „Irseer Anstaltsgräber“ (2016). „Mit der jetzt vorgelegten Studie über den Augsburger Strafprozess gegen die Verantwortlichen der NS-Krankenmorde in der einstigen Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee geraten nun die Täter mit ihrer beunruhigenden Gedankenwelt in den Blick“, hebt Verbandspräsident Franz Löffler in seinem Geleitwort hervor. Das Buch kann daher auch als historische Fundierung des im letzten Jahr vom Landestheater Schwaben uraufgeführten Dokumentarstücks „NEBEL IM AUGUST (Der Fall Ernst Lossa vor Gericht)“ gelesen werden, das eindrücklich vor Augen stellte, wozu ärztliches, pflegerisches und in der Verwaltung tätiges Personal in der Zeit des Nationalsozialismus in der Lage war.

In einem Nachwort behandelt der Medizinethiker Prof. Dr. Walter Bruchhausen (Köln) mögliche historische wie moralische Lehren aus der NS-„Euthanasie“.