Bezirkskliniken Schwaben: Psychiatrische Krankenpflege zuhause
Neu ist jedoch, dass die Gesellschaft, getragen von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Augsburg und den Bezirkskliniken Schwaben, nun „psychiatrische häusliche Krankenpflege“ (pHKP) anbietet. Menschen, die durch ihre psychische Erkrankung stark beeinträchtigt sind, sollen möglichst selbstständig ihren Alltag bewältigen können, um in ihrer gewohnten Umgebung bleiben zu können. „Damit sollen Krankenhausaufenthalte verkürzt oder sogar vermieden werden. Auch Chronifizierungen sollen so verhindert werden“, sagt Martin Zepf, der die Gesamtleitung inne hat. Während Betroffene früher eine der drei von Integre betriebenen Einrichtungen mit den Namen „Vincentro“ aufsuchen mussten (eine davon in Augsburg), kommt das Fachpersonal jetzt zu ihnen. „Wir unterstützen bei Krankheits- und Krisenbewältigung und überlegen uns in jedem Einzelfall, was wir tun können, um den Patienten gut zu versorgen. Zu Hause in gewohnter Umgebung kann er oder sie sehr intensiv begleitet werden“, so Zepf.
Wie gut das funktioniert, zeigt das Beispiel einer 42-jährigen Frau. Die Augsburgerin leidet seit längerem unter Anpassungsstörungen, hat Angst- und Panikattacken. Vorausgegangen war ein Burnout. Ende vergangenen Jahres wurde sie im Bezirkskrankenhaus (BKH) fünf Wochen stationär behandelt. Gleich im Anschluss übernahm das Vincentro-Team und kümmerte sich ambulant um sie. „Das BKH war meine erste Rettung, Vincentro meine zweite“, sagt sie. Die psychiatrische häusliche Krankenpflege startete im Dezember 2022 mit 14 Einheiten pro Woche – bei ihr in Person von Pflegedienstleiterin Nicole Schmid. Eine Einheit umfasst 45 Minuten. Über einen Zeitraum von vier Monaten suchten Schmid und ihre Kollegen die 42-Jährige regelmäßig zu Hause auf, sprachen mit ihr, bauten Vertrauen auf und begleiteten sie. „Das war so schön und wichtig. Sie haben mir Mut gemacht und wieder Spaß am Leben vermittelt“, schildert die Augsburgerin. Gemeinsam wurde eingekauft und gekocht, eine Wand geweißelt, bunte Blumen wurden in Pflanzkübeln eingesetzt. „Man hat mich motiviert, wieder mal was Schönes zu machen. Das hätte ich alleine in meiner ganzen Angst- und Panikspirale nie geschafft.“
Zepf zieht Parallelen zur psychiatrische Ergotherapie, welche ebenfalls von der Integre angeboten wird (ein weiterer Versorgungsbaustein der Integre ist die Soziotherapie): „Eine zentrale Aufgabe in unseren Versorgungsangeboten ist zunächst Beziehungsarbeit. Es zeigt sich, dass Menschen oftmals leichter in Kontakt zu ihren Empfindungen kommen, wenn sie etwas tun.“ Im Fall der 42-Jährigen hieß das, mit ihr Orte wie ein Waldstück an der Wertach aufzusuchen, vor denen sie Angst hatte. „Ich konnte keine zehn Schritte mehr allein laufen. Jetzt funktioniert das wieder“, so die Frau. Dank der Begleitung durch die Fachkräfte geht es ihr nach eigenen Angaben inzwischen besser. Die Therapie sei durch die Hausbesuche in ihr Leben gekommen, wie sie es formuliert. „Ich habe die Angststörung zwar noch, aber ich weiß mir jetzt zu helfen. Ich kann wieder was in meinem Leben machen“, sagt sie voller Dankbarkeit.
Den Leiter freuen solche Aussagen. Er ist von dem Konzept überzeugt. „Die pHKP ist eine super Geschichte. Die Rückmeldungen, die wir bekommen haben, sagen aus, dass sie für die Betroffenen sehr hilfreich ist“, so Zepf. Man biete ihnen eine innovative ambulante sozialpsychiatrische Hilfestellung – sowohl vor- als auch nachklinisch. Der Bedarf sei groß. „Die meisten Menschen, die wir begleiten, leiden unter Depressionen, Persönlichkeits-, Angst- oder Zwangsstörungen – nach Corona vermehrt. Darunter sind auch viele junge Leute und inzwischen vermehrt auch Männer“, berichtet Zepf. Das soziale Umfeld werde in die Behandlung einbezogen und – sofern erwünscht – im Umgang mit der Erkrankung beraten. „Unser Ziel ist es, den Betroffenen dabei zu helfen, ihr Leben wieder weitestgehend autonom und eigenverantwortlich zu gestalten, sowie bestmöglich zu Hause leben zu können“, sagt er. Dabei sei von Vorteil, dass die Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst des örtlichen BKH und den niedergelassenen Fachärzten so gut funktioniere.
Die Neuausrichtung kam auch deshalb zustande, weil die Kassen die Verträge zur „Besonderen/Integrierten Versorgung“ gekündigt hatten. Nicht zuletzt durch personelle Engpässe musste die Integre zwei der drei ihrer Vincentros schließen: das in Landsberg am Lech 2020 und das in Neu-Ulm im Mai 2022. Seitdem gibt es nur noch die Einrichtung in der Frölichstraße 18 in Augsburg (nähe Hauptbahnhof). Hier arbeiten 16 Frauen und Männer. Neben ihrer Kernarbeitszeit sind sie in Krisenfällen rund um die Uhr erreichbar, was für ihre „Kunden“ sehr wertvoll ist, da es ihnen Sicherheit gibt.
Die Integre ist eine Gesellschaft zur Kooperation und Vernetzung im Sozial- und Gesundheitswesen mbH. Ihre Vorgängergesellschaft wurde 2009 gegründet, damals als „soziales Start-up“, wie es der langjährige Geschäftsführer Werner Weishaupt von der AWO Augsburg bei der Feier zum zehnjährigen Bestehen formulierte. Mittlerweile hat es auch an dieser Stelle einen Wechsel gegeben: In diesem Jahr hat Claudia Frost (ebenfalls AWO Augsburg) die Geschäftsführung der Integre übernommen.