Bezirkskrankenhaus Augsburg: Die heilende Kraft der Hände
Langsam senken sich die ausgestreckten Arme von Silke Bartholomä auf die Schulter der Frau, die vor ihr, warm eingewickelt in einer Decke, auf einer Liege liegt. Die Atmosphäre ist entspannt: Im Raum riecht es nach Aroma-Ölen, im Hintergrund läuft ruhige Musik, beide Frauen schließen ihre Augen. Wir befinden uns im Bezirkskrankenhaus (BKH) Augsburg, und Silke Bartholomä wendet gerade Reiki an. Bei ihrer Patientin kommt diese uralte, fernöstliche Heil- und Entspannungsmethode für Körper und Seele offensichtlich gut an. Nach der 30-minütigen Anwendung fühlt sie sich besser. „Diese Erfahrung mache ich andauernd. Mit Reiki-Behandlungen werden Erfolge im Suchtbereich, bei Patienten mit Depressionen, Angststörungen und dementiellen Erkrankungen erzielt“, berichtet Bartholomä. Sie ist hier auf Station E2, einer allgemeinpsychiatrische Kriseninterventionsstation, als diplomierte Sozialpädagogin tätig. Die Krankenschwester ist zugleich Reiki-Meisterin und -Lehrerin. Die Ausbildung dazu hatte sie 2016 angefangen.
Das „Ki“ in Reiki steht ausnahmsweise mal nicht für „Künstliche Intelligenz“, die aktuell in aller Munde ist, sondern ebenso wie das „Qi“ des Qigong und das „Chi“ des Tai Chi für Lebenskraft/Energie. „Reiki ist eine fernöstliche Technik zur Aktivierung der Lebenskraft“, erläutert Bartholomä. Durch das Auflegen der Hände hilft es, sich in einen wohltuenden Entspannungszustand zu begeben. So sollen die Selbstheilungskräfte aktiviert und der Energiefluss harmonisiert werden. Das wirkt auf Körper und Seele, also ganzheitlich. „Reiki unterstützt uns dabei, neue Kraft zu schöpfen, Schmerzen zu lindern, körperliche und seelische Blockaden zu lösen, Krankheiten vorzubeugen und die eigene Balance wiederzufinden“, sagt die Fachkraft.
Dass die Methode bestimmte Stellen des Körpers durch Auflegen der Hände stimuliert, weil es Energie in Form von Schwingungen weiterleitet, dazu gibt es inzwischen Studien und Messungen. Reiki wird mittlerweile zusammen mit der Schulmedizin im Rahmen verschiedener Therapiekonzepte eingesetzt. In vielen Ländern wie Amerika, Australien, Brasilien, Großbritannien und Norwegen gehört es als Therapie in Kliniken bereits zum Alltag. Auch in Deutschland erhöht sich die Zahl der niedergelassenen Ärzte und Krankenhäuser, die der Behandlungsmethode offen gegenüberstehen und sie anbieten. Vorreiter ist laut Bartholomä das Unfallkrankenhaus Berlin, welches seit Jahren Reiki im Rahmen der Schmerztherapie einsetzt.
Bei den Bezirkskliniken Schwaben wird Reiki bis dato nur im BKH Augsburg angeboten. „Unser ärztlicher Direktor Prof. Hasan, meine Oberärztin Dr. Ingrid Bauer und das Team der Station E2 unterstützen mich hierbei sehr“, betont Silke Bartholomä. Seit gut einem Jahr bietet sie Reiki auf der E2 an. In dieser Zeit hat sie neben ihrer Haupttätigkeit als Sozialpädagogin (Sozialer Fachdienst) mehr als 40 Behandlungen durchgeführt. „Die Patienten waren zwischen 20 und 79 Jahre alt und litten unter Depression, Angststörung, emotionale instabile Persönlichkeitsstörung, Sucht oder Anpassungsstörung.“ In allen Fällen, so die Reiki-Meisterin, sei das Entspannungsverfahren sehr gut aufgenommen worden. Die Rückmeldungen aus dem Kollegenkreis, wie sie die Patienten nach der Behandlung erlebt haben, seien positiv gewesen. Die Patienten wurden als weniger angespannt und ausgeglichener wahrgenommen. „Viele waren so tiefenentspannt, dass ich sie am Ende aufwecken musste. Sie berichteten mir, dass das Gedankenkreisen in ihnen während der Behandlung aufgehört hat und schöne Gedanken aufgetaucht sind.“
Wie die BKH-Mitarbeiterin weiter erläutert, soll Reiki nicht die medizinische Behandlung ersetzen. Es könne aber unterstützend wirken, da es die Selbstheilungskräfte aktiviert, psychosomatische Beschwerden lindert, das Immunsystem stärkt, schmerzlindernd wirkt sowie Entspannung und Ausgeglichenheit fördert. „Reiki kann jeder erlernen. Ich wende es auch bei mir selber an“, so Silke Bartholomä, die seit 2018 im BKH arbeitet.
Die guten Resultate haben sich inzwischen in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik herumgesprochen. Die stellvertretende Stationsleiterin Alexandra Wallner schreibt im Rahmen ihrer Weiterbildung eine Projektarbeit über Reiki-Behandlungen auf der E2. Fünf Mitarbeiterinnen dieser und vier von anderen Stationen wollen die Anwendung von Reiki über eine Fortbildung erlernen. Speziell Interessierten aus der Pflege und Sporttherapie sollen dazu zwei Tagesseminare angeboten werden. „Kolleginnen von anderen Stationen haben schon angefragt, ob ihre Patienten ebenfalls eine Reiki-Behandlung erhalten könnten“, so Bartholomä. Die Nachfrage ist groß. Ihr Wunsch ist es, dass Reiki bald auch auf anderen Stationen im BKH Augsburg angewendet wird.