Bezirkskrankenhaus Günzburg: Damit Gewalt erst gar nicht ausbricht
Fachleute sind sich einig: Die meisten psychisch kranken Menschen sind weder gewalttätig noch gefährlich, zumindest nicht gegen Fremde. „Dennoch gibt es eine kleine Gruppe, die aufgrund ihrer Krankheit zu Gewalt neigt“, sagte Dr. Dorothea Gaudernack vom Bayerischen Sozialministerium für Familie, Arbeit und Soziales im Festsaal des Bezirkskrankenhauses (BKH) Günzburg. Ist es deshalb richtig, die Öffentlichkeit vor diesen Menschen zu warnen und zu schützen auf die Gefahr hin, psychisch Kranke pauschal zu stigmatisieren? „Dieses Spannungsfeld ist bisweilen schwer auszuhalten“, stellte die Leitende Ministerialrätin fest. Deshalb sei die Arbeit von Präventionsstellen so wertvoll. Eine solche gibt es in Günzburg. Seit April 2023 arbeitet sie mitten in der Innenstadt unbemerkt im Hintergrund. Anlässlich des einjährigen Bestehens fand vor kurzem im BKH eine sechsstündige Fachtagung statt, an der 150 Gäste aus der gesamten Region und aus dem deutschsprachigen Ausland teilnahmen.
Die Präventionsstelle steht unter der Leitung der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychiatrie am BKH Günzburg mit ihrer Ärztlichen Direktorin Prof. Dr. Manuela Dudeck. „Die Einrichtung ist jedoch räumlich, personell und fachlich klar abgegrenzt von der Forensischen Nachsorgeambulanz (FONA) und der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA), die sich beide auf dem BKH-Gelände befinden“, betonte die Leiterin der Präventionsstelle, Carolin Schunn. Das Hilfsangebot richtet sich vorrangig an Menschen mit einer Schizophrenie oder einer Persönlichkeitsstörung, die zu mehr Gewalt neigen als andere. Suchterkrankungen und Intelligenzminderung dürfen nicht im Vordergrund stehen; auch reine Gewalt- und Sexualstraftäter werden hier nicht behandelt. Die Ziele der Präventionsstellen, die es inzwischen bayernweit in jedem Bezirk gibt, lauten: Straftaten verhindern, Gewaltprävention, Opferschutz.
Das Angebot in Günzburg richtet sich an Betroffene aus dem gesamten Regierungsbezirk Schwaben und wird durch das bayerische Sozialministerium finanziert. „Dabei handelt es sich um ein spezialisiertes, niederschwelliges und ambulantes Angebot. Und es ist freiwillig“, so Carolin Schunn. Seit Dezember 2022 gab es 72 Kontaktaufnahmen zum Team der Präventionsstelle, das aus Fachärztinnen, Psychologinnen, Sozialpädagoginnen, Fachkrankenpflegerinnen und medizinische Fachangestellte besteht: durch die Polizei, durch Kliniken, Angehörige, Beratungsstellen, die Bewährungshilfe, Betreuer, FONA, Justizvollzugsanstalten und in nicht geringem Ausmaß durch die Betroffenen selbst.
Nach Auskunft der Leiterin steht die Einrichtung aktuell mit 23 Klienten in engem Kontakt, 15 befinden sich in der Behandlungsphase. Zu Beginn steht jeweils ein Screeningverfahren, bei dem ein Risikoprofil erstellt wird. Fachärztliche, psychologische, sozialtherapeutische und pflegerische Einzelgespräche schließen sich an. „Die Termine finden einerseits bei uns im Haus statt. Andererseits arbeiten wir auch sehr viel aufsuchend“, so Schunn. Beim Klienten zuhause oder in einer Einrichtung werden die Betroffenen im lebenspraktischen Bereich beraten und unterstützt: bei der Tagesstrukturierung, bei finanziellen Angelegenheiten, bei der Wohnungssuche usw. Beraten werden auch Angehörige und Mitarbeitende von Fachstellen. Die Zusammenarbeit mit Vor- und Mitbehandlern wie Allgemeinpsychiatrie, niedergelassene Ärzte und Therapeuten sowie zu Beratungsstellen, Polizei, Bewährungshilfe, JVA, Wohn- und Betreuungseinrichtungen sei eng, betont die Sozialpädagogin.
„Ich habe das Gefühl, dass wir mit unserer Arbeit Menschen erreichen können, die sonst durchs Raster fallen“, sagte Schunn. Die Behandlungszahl wachse. „Wir haben es geschafft, uns zu etablieren.“ Als Herausforderung bezeichnete sie es, Kontakt zur Zielgruppe zu halten – das Angebot sei ja freiwillig. Es sei nicht einfach, dass Betroffene zur Präventionsstelle finden und schnell Vertrauen zum Team aufbauen. Nicht weniger herausfordernd sei die personelle Ausstattung, um die Aufgaben zu erfüllen. „Aktuell suchen wir einen Sozialpädagogen oder eine Sozialpädagogin“, informierte die Leiterin.
Stefan Brunhuber, Vorstandsvorsitzender der Bezirkskliniken Schwaben, zog ein positives Zwischenfazit. „Das Angebot wird gut angenommen, was wiederum den Bedarf deutlich macht.“ Mit der Präventionsstelle habe man eine Versorgungslücke im gemeindepsychiatrischen Bereich geschlossen.
Dr. Gaudernack sieht die Präventionsstellen als „ein Erfolgsmodell“. In dieselbe Kerbe schlug Alicia Paskert vom Amt für Maßregelvollzug in Nördlingen. Mit den Einrichtungen sei es gelungen, ein fachlich qualitativ hochwertiges, breit gefächertes Angebot für psychisch kranke Menschen zu schaffen, die zu Gewalt neigen. Ihnen werde damit eine Rückkehr zu einem möglichst normalen Leben aufgezeigt. „Gleichzeitig gelingt es, die Allgemeinheit vor möglichen Gefahren und auch Opfer zu schützen“, so die Juristin.
Nach Auskunft von Prof. Dudeck erkranken in Deutschland jedes Jahr etwa 136.000 Menschen an Schizophrenie. „Viele davon nehmen keine Medikamente, sind arbeitslos und sozial isoliert, haben keinen Partner, und sind wegen ihrer psychischen Störungen nicht in Behandlung“, berichtete die Günzburger Klinikleiterin und Lehrstuhlinhaberin für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Ulm seit Mai 2013. Im Maßregelvollzug in Günzburg arbeiteten 125 Menschen. „Wir haben keinen ruhigen Job und wir alle sind alle mit Drohungen vertraut.“ Die Gefahr, bei der beruflichen Tätigkeit selbst Opfer von Gewalt zu werden, sei dennoch gering, sofern man nicht die eigenen Sicherheitsmaßnahmen vergisst. Prof. Dudeck: „Wir sind sozusagen die 3. Präventionsstufe, damit Symptome der Gewalt erst gar nicht ausbrechen.“ Allerdings koste das alles „unheimlich viel Geld“. Es stellten sich die Fragen: Wie viel Prävention benötigt eine Gesellschaft? Wer hat sie zu leisten? Und wie viel Gefahr kann sie (er-) tragen?
Damit haben sich auch zwei Referenten aus Österreich und der Schweiz befasst. Dr. David Holzer (Wien) und May Beyli (Zürich) erläuterten im vollbesetzten Festsaal des BKH Günzburg, wie in ihren Ländern ambulante forensische Versorgung organisiert ist. Fazit: Speziell Bayern nimmt mit seinen Präventionsstellen im Vergleich zu den Nachbarn eine gewisse Vorreiterrolle auf diesem Gebiet ein. Eine Podiumsdiskussion rundete die gelungene Tagung ab.