Bezirkskrankenhaus Günzburg: Viele Bandscheibenvorfälle müssen nicht operiert werden

Was macht man bei welchen Beschwerden im Rücken? Jedenfalls nicht blind auf Beiträge in sozialen Medien oder auf Youtube vertrauen. „Da ist teilweise grober Unfug dabei. Viele Klicks oder Abonnenten bedeuten nicht automatisch eine qualitativ bessere Empfehlung“, sagt der ärztliche Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) der Bezirkskliniken Schwaben, Dr. Jens Engelke. Nichts ersetze eine persönliche Beratung und Begleitung. Anlässlich des „Tages der Rückengesundheit“ informierten er und seine Kollegen der Klinik für Neurologie und Neurologische Rehabilitation sowie der Klinik für Neurochirurgie ausführlich über Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten. Wichtigste Botschaft: Bitte erst konservativ therapieren, gerne auch länger. Nur wenn man mit Schmerzmitteln nicht mehr weiterkommt und die Einschränkungen zu groß sind, dann eine Operation in Betracht ziehen.
140 Besucherinnen und Besucher im Festsaal des Bezirkskrankenhauses (BKH) Günzburg verfolgten aufmerksam die jeweils 30-minütigen Vorträge der Fachleute. „Sie dürfen sich glücklich schätzen, hier vor Ort ein interdisziplinäres Schmerzzentrum zu haben, das universitären Standorten in nichts nachsteht“, führte der neue Ärztliche Direktor der Neurologischen Klinik, Prof. Michael Ertl aus. Ertl war zu Jahresbeginn vom Universitätsklinikum Augsburg zu den Bezirkskliniken Schwaben nach Günzburg gewechselt.
Interdisziplinär bedeutet, dass Patientinnen und Patienten nicht nur aus ärztlicher Sicht behandelt werden, sondern dass auch andere Berufsgruppen wie Pflege, Psycho-, Ergo- und Physiotherapie und andere ihre Expertise einbringen. „Alle arbeiten zusammen. Durch das Ineinandergreifen verschiedener Zahnräder wird die Lebensqualität der Patienten nachhaltig verbessert“, so Prof. Ertl. Der Campus verfüge mit dem Neuroradiologiezentrum und mit dem neuen MRT in der Radiologiepraxis über exzellente Diagnostik. „Allerdings behandeln wir keine Bilder, sondern immer Patienten. Wir schauen uns die Menschen und ihre Leiden an und entscheiden dann, ob eine Bildgebung anschließend notwendig ist“, ergänzte er.
Röntgen, Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT): Was es alles gibt und wie man den Patienten weiterhelfen kann, die ans BKH kommen, erläuterte Dr. Michael Braun, Facharzt für Radiologie und Neuroradiologie, bei seinem Vortrag „Neues aus der Röhre“. Die neuen Geräte arbeiteten schneller und lieferten genauere Bilder, wozu auch die eingebaute Künstliche Intelligenz (KI) beitrage. „Im neuen MRT in der Radiologie des MVZ sind die Abstände größer, was für Patienten mit Platzangst oder Kinder wichtig ist. Das Gefühl ist nicht so beklemmend, wenn man da draufliegt und reingefahren wird", sagte Dr. Braun.
Timo Müller, der Leiter des Schmerzzentrums innerhalb der Klinik für Neurologie, berichtete, welche Arten von Schmerzen es geben kann: drückende, ziehende, reizende oder brennende Schmerzen. Das herauszufinden, sei für die Diagnose und weitere Behandlung sehr wichtig. „Schmerzen haben auch Auswirkungen auf die Psyche und umgekehrt. Es gibt häufig nicht nur eine Ursache für einen Schmerz, man muss den gesamten Menschen betrachten und fragen, welche Rolle psychische Einflüsse bzw. Auswirkungen haben“, so Dr. Braun.
Prof. Ralph König stellte die endoskopische Therapie bei einer Wirbelsäulenoperation vor – das Operieren durchs Schlüsselloch. Dabei wird die zu behandelnde Stelle im Körperinnenraum über speziell entwickelte Instrumente durchgeführt, statt klassisch am offenen Gewebe zu operieren. „Nicht jeder Patient eignet sich dafür. Nur weil man es machen kann, muss es nicht das Beste sein“, schränkte der Facharzt für Neurochirurgie ein. Prof. König empfahl, bei einem Bandscheibenvorfall mindestens sechs Wochen zu warten, bis man sich für eine OP entscheidet. „Zwei Drittel aller Bandscheibenvorfälle werden sich wahrscheinlich spontan auflösen – außer man hat starke Lähmungen.“ Gleichwohl sollte man, wenn man sich für einen Eingriff entscheidet, nicht zu spät operieren. „Das hängt mit der Chronifizierung des Schmerzes zusammen“, so der Neurochirurg. Die Therapie des Bandscheibenvorfalls sei sehr differenziert. „Am besten, man hat einen Arztkoffer, der mit vielen Dingen gefüllt ist, um den Betroffenen mit Rückenleiden weiterhelfen zu können“, zeichnete Prof. König ein Vergleichsbild. Am Standort Günzburg gibt es solche Arztkoffer: Hier bestehen vielfältige Möglichkeiten zur Behandlung und Therapie von Menschen mit entsprechenden Erkrankungen und Schmerzen.
Eine interessante Aussage traf Dr. Engelke: Es sei nicht belegt, dass man mehr Beschwerden hat, nur weil man älter wird. „Degeneration, Abnutzung und Arthrose ziehen sich durch alle Altersgruppen und bedeuten nicht automatisch Schmerz“, so der ärztliche Leiter des MVZ der Bezirkskliniken mit seinen Leistungsbereichen Neurochirurgie, Neurologie, Radiologie, Psychiatrie und Psychotherapie an unterschiedlichen Standorten. Erkrankungen des Bewegungsapparates machten ein Viertel der Krankheitstage im Arbeitsleben aus – ein Großteil davon betreffe die Wirbelsäule. Risikofaktoren für einen vorzeitigen Verschleiß seien unter anderem Überbeanspruchung, fehlende Unterstützung, Übergewicht, falsche Ernährung, häufige Fehlbelastung durch ständiges Sitzen, fehlendes Training. Dr. Engelke: „Die Wirbelsäule muss bewegt werden. Wenn man das nicht kann, dann empfehle ich Physiotherapie.“