Bezirkskrankenhaus Günzburg: „Wir sind ein guter Versorger für die Region“
Herr Prof. Hamann, Sie verabschieden sich nach mehr als zehn Jahren als Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurologie und Neurologische Rehabilitation am Bezirkskrankenhaus (BKH) Günzburg in Kürze in den Ruhestand und treten mit 64,5 Jahren in die Freistellungsphase Ihrer Altersteilzeit ein. Welches Feld übergeben Sie Ihrem designierten Nachfolger Prof. Michael Ertl vom Universitätsklinikum Augsburg?
Prof. Gerhard F. Hamann: Ich empfinde die Klinik, deren ärztliche Leitung ich übergebe, als wohlgeordnet. Wir haben 59 Betten in der Akutneurologie und 16 Früh-Reha-Betten, eine große Intensivstation mit einer Stroke Unit. In den letzten zehneinhalb Jahren wurde die Stroke Unit als überregionale Einrichtung viermal rezertiziert: 2015, 2018, 2021 und zuletzt im Juli 2024. Wir sind damit eine von etwa 100 überregionalen Stroke Units in Deutschland.
Ihr Haus ist Teil des NEVAS-Netzwerks. Was bedeutet das?
Hamann: NEVAS steht für Neurovaskuläres Netzwerk Südwestbayern. Wir sind da zusammen mit dem Klinikum München-Großhadern und dem Klinikum Ingolstadt eines der drei Zentren in Süddeutschland innerhalb des Schlaganfallnetzwerkes. Jedes dieser Zentren hat ihm zugeordnete regionale Partner: Bei uns sind das die Krankenhäuser in Günzburg, Krumbach, Nördlingen, Donauwörth, Memmingen, Kaufbeuren, Füssen, Mindelheim, Immenstadt und Kempten. Wir haben mit diesen Partnerkliniken enge Kooperationen. Es finden regelmäßige Besuche vor Ort statt, es gibt Video- und Telefon-Konsile, Vorstellung von kernspintomografischen und CT-Bildern und es werden Schlaganfallpatienten zu uns verlegt. Wir haben so im vergangenen Jahr 226 Patienten thrombektomiert, das heißt mechanisch Gerinnsel aus Hirnarterien entfernt. Dieses Jahr werden wir im Bereich von 250 bis 270 Patienten landen. Wir sind da eines der größten Thrombektomie-Zentren in Bayern. Die Zusammenarbeit innerhalb des NEVAS-Netzwerkes ist außerordentlich fruchtbar und sichert die Patientenversorgung für Günzburg und Mittelschwaben ab.
Sie behandelt aber längst nicht nur Schlaganfälle?
Hamann: Richtig. Daneben haben wir eine Schmerzabteilung, eine Früh-Reha-Abteilung, machen Intensivmedizin, und wir klären das gesamte Spektrum an neurologischen Akuterkrankungen ab, also auch Multiple Sklerose, Parkinson, Bewegungsstörungen, oder Veränderungen des peripheren Nervensystems.
Welche Bedeutung hat Ihre Klinik für die Region?
Hamann: Wir sind der primäre Schlaganfallversorger und die primär einzige neurologische Klinik für die drei Landkreise Günzburg, Dillingen und Neu-Ulm. Wir sind natürlich in Nachbarschaft mit der Uni Ulm und dem Universitätsklinikum Augsburg. Über die Jahre haben sich die Beziehungen positiv zu einem Geben und Nehmen entwickelt. Wir haben innerhalb des NEVAS-Netzwerkes eine herausgehobene Stellung, ähnlich wie die Kliniken Großhadern und Ingolstadt.
Die Behandlung von Schlaganfällen soll nach der neuen Krankenhausreform künftig nur noch in Spezialkliniken stattfinden. Sind die Menschen in Mittelschwaben besonders im Vorteil, weil es Ihre Klinik in Günzburg gibt?
Hamann: Mittelschwaben ist eine ländliche Region. Das ist kein Vorteil für eine Schlaganfallversorgung, weil die Wege über Landstraßen zum Teil länger und die zeitlichen Entfernungen weiter sind. Die Alarmierungsketten brauchen länger als im städtischen Umfeld. Da wir aber ein guter Versorger für die Region sind, würde ich sagen: Das eine wiegt das andere auf.
Aber ist es nicht entscheidend, dass die Patienten in Ihre Klinik kommen, wo ein spezialisiertes Team 24/7 nichts anderes macht, als vor allem Schlaganfälle zu behandeln? Da spielen zehn Minuten mehr auf der Straße doch nicht die entscheidende Bedeutung, oder?
Hamann: Wir haben sehr gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl im ärztlichen, pflegerischen als auch therapeutischen Bereich, insgesamt knapp 140. Die wissen, was zu tun ist. Wir haben mit den Kliniken in den genannten Landkreisen zudem eine gute Zusammenarbeit. Die Weiterverlegung von Schlaganfallpatienten, die irrtümlicherweise in eine der Partnerkliniken aufgenommen worden sind, funktioniert sehr gut.
Wie sieht es in Ihrem Haus personell aus?
Hamann: Die Stellen sind im Gegensatz zu vielen anderen Häusern besetzt. Wir haben exzellente Oberärzte in langjähriger Funktion, und die Pflege hat sich in den vergangenen Jahren sehr positiv entwickelt. Es gibt derzeit keine freien Stellen. Gleiches gilt für Stellen im Bereich der Physio-, Ergo- und Logopädie. Und das ist schon eine Besonderheit in der heutigen Zeit, wo Fachkräftemangel und gesperrte Betten in Kliniken allerorten ein Problem sind. Wir sind also in Günzburg gut aufgestellt.
Was macht den Standort Günzburg aus?
Hamann: Wir sind hier in Günzburg ein Fachkrankenhaus. Wir haben die Neurochirurgie, Neurologie, Neuroradiologie, Neuroanästhesie, Neuropathologie, eine sehr große Psychiatrie und eine Forensik. Wir sind spezialisiert auf ein nervenheilkundliches Fachgebiet und arbeiten eng mit den Kreiskliniken Günzburg-Krumbach zusammen, die zahlreiche somatischen Fachabteilungen vorhält. Die Zusammenarbeit auf dem Campus ist völlig unkompliziert. Der Fokus auf die Neurofächer ist sehr ausgeprägt. Ich habe stets genossen, dass die Wege kurz sind und die familiäre Bindung der Patienten und Versorgung eng ist. Das zeichnet die Region aus. In unserer Frührehabilitation gelingt es, 50 Prozent der in der Regel über 70-, 80-jährigen Patienten nochmal nach Hause zu bringen. Das ist toll. Das hat viel mit Lebensqualität zu tun. Dafür lohnt sich der Einsatz.
Sie waren und sind ja sehr stark vernetzt. Sie waren unter anderem von 2014 bis 2016 Vorsitzender der Deutschen Schlaganfallgesellschaft und anschließend noch sechs Jahre im Vorstand. Wie haben Ihre Klinik und Ihr Arbeitgeber davon profitiert?
Hamann: Ich war stets am Puls der Zeit, habe Entwicklungen frühzeitig erfasst und antizipieren können. Wir haben über Wissenstransfer und klinische Studien sehr profitieren können. Ich mache heute noch Stroke-Unit-Audits, das heißt, ich zertifiziere andere Stroke Units. Da lernt man immer Dinge kennen, die einem sinnvoll erscheinen, umzusetzen, sozusagen „Best Practics“. Ich habe noch kein Audit gehabt, wo ich nicht weggefahren bin und gesagt habe: Dies oder jenes könnte ich auch bei uns umsetzen oder ändern. Auf diese Weise fand stets eine Art Optimierungsprozess statt.
Welchen Stellenwert in Ihrem Berufsleben hat die Schlaganfall-Medizin?
Hamann: Sie ist mein Leib- und Magenthema, mit dem ich mich seit mittlerweile knapp 40 Jahren beschäftige. Von daher liegt mir das Thema sehr am Herzen, um die Versorgung der Schlaganfallpatienten optimal zu gestalten.
Sie haben an zahlreichen klinischen Studien mitgewirkt. Welche hat aus Ihrer Sicht den nachhaltigsten Erfolg mit sich gebracht?
Hamann: Der nachhaltigste und grundlegendste Erfolg war sicherlich meine Arbeit in Großhadern mit der mechanischen Thrombektomie. Wir haben in den Jahren 1996 bis 2004 den Grundstein gelegt für das, was sie heute gemacht wird. Wir hatten das damals als eine der ersten Gruppen in Deutschland gemacht und eigentlich nur die falschen Werkzeuge zur Hand. Deshalb war der Erfolg nicht so durchschlagend wie heute. Das zweite sind Studien zur Thrombolyse, also zur medikamentösen Gerinnselauflösung. Ich habe das schon zu einer Zeit gemacht, wo die Methode noch in den Kinderschuhen steckte, und habe wesentlich mitgewirkt, sie zu verbreiten. Ich habe experimentelle Daten auch zur Wirksamkeit, Sicherheit und zur Entstehung von Blutungen gewonnen, was dieses Feld schon bereichert hat.
Nochmal zurück zur Krankenhausreform: Hat die Günzburger Neurologie als Fachkrankenhaus Zukunft, obwohl sie keine internistische Abteilung vorhält? Muss sich der Standort Sorgen machen oder wird er eher gestärkt?
Hamann: Eine schwierige Frage. Letztendlich kennen wir noch nicht alle Details und vor allem nicht die länderspezifische Ausarbeitung dieses Gesetzes und was in Bayern wie umgesetzt wird. Da liegt noch einiges in Länderhand. Ich persönlich denke, dass auch diese Reform Chance und Risiko in einem ist. Die Chance ist, dass eine gewisse Zentralisierung stattfindet und die Reform Ressourcen dorthin adaptiert, wo Spitzenmedizin geleistet wird. Das ist an unserem Standort der Fall. Aber es wird auch zu Umverteilungen und regionalen Probleme kommen, die ein Risiko darstellen. Unterm Strich sehe ich die Reform für uns als Fachkrankenhaus in Kooperation mit internistischen Umgebungsabteilung eher als Chance. Ich traue der bayerischen Staatregierung zu, dass sie die lokalen und regionalen Begebenheiten berücksichtigt. Durch die telemedizinische Versorgung, die wir mit NEVAS haben, ist die Schlaganfallversorgung in Schwaben generell gut geregelt.
Ein Blick zu Ihrem bevorstehenden Ruhestand. Welche Pläne haben Sie?
Hamann: Ich werde mich mehr um meine Familie kümmern. Wir haben ein kleines Enkelkind, das in Darmstadt wohnt. Wir werden wahrscheinlich von Neu-Ulm-Reutti nach Wiesbaden zurückumziehen. Mein jüngster Sohn wohnt in Frankfurt/Main, mein ältester mit Enkelkind in Darmstadt, meine Tochter in Düsseldorf. Meine Frau hat über die Jahrzehnte schon sehr unter meiner beruflichen Eingespanntheit gelitten. Deshalb möchte ich ihr etwas zurückgeben.
Bleiben Sie als Arzt tätig?
Hamann: Ich werde die Stroke-Unit-Audits und Gutachten weitermachen, aber nicht mehr in der Patientenversorgung tätig sein. Die Honorarprofessur an der Uni Ulm erlischt mit meiner Tätigkeit hier. Meine Apl-Professur an der LMU besteht weiter.