Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren: Hier werden harte Männer ganz weich
Auf einer Freifläche innerhalb des Tierheims Beckstetten (Gemeinde Jengen, Kreis Ostallgäu) sitzen und liegen sechs Männer auf Decken. Sie spielen und kuscheln mit Hunden. Dabei haben sowohl die Menschen als auch die Tiere eine besondere Vorgeschichte. Bei den Männern handelt es sich um Straftäter aus der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie des Bezirkskrankenhauses (BKH) Kaufbeuren. Und die kleinen Vierbeiner wurden von Behörden beschlagnahmt, weil sie kurz nach ihrer Geburt mutmaßlich von ihrem Besitzer misshandelt worden sind. Die Hunde, die zu Beginn ihres Lebens die böse Seite eines Menschen kennenlernen mussten, bekommen hier Liebe und Zuneigung. Und das ausgerechnet von Menschen, die in ihrem Leben nicht gerade immer nett zu ihren Mitmenschen waren und mit ihrer psychischen Erkrankung (meist eine Suchterkrankung) alles andere als auf der Sonnenseite des Lebens standen.
„Ein tolles Projekt, bei dem beide Seiten wachsen – sowohl der Mensch als auch der Hund“, stellt Eva Schmuck erfreut fest. Die Ergotherapeutin am BKH bietet seit längerem tiergestützte Therapie an und hat damit bei den forensischen Patienten großen Erfolg.
Den Stein ins Rollen gebracht hatte die Leiterin des Tierheims, Melanie Kühn. Ihre Einrichtung und das BKH arbeiten seit einigen Jahren auf verschiedenen Ebenen zusammen – man kennt und schätzt sich. Anfang März waren zehn Welpen ins Tierheim eingezogen. Die Tiere aus dem Raum Hannover (Niedersachsen) stammen aus einer Beschlagnahmung. Sie wurden mutmaßlich von ihrem Besitzer schwer misshandelt. Entsprechend scheu, vorsichtig und ängstlich reagierten sie anfangs auf menschlichen Kontakt. „Die Leiterin hat sich erkundigt, ob wir uns gemeinsam mit unseren Patienten um die Sozialisation der Welpen kümmern wollen. Die Patienten waren von Anfang an begeistert“, erzählt Eva Schmuck. Ihr Kollege Chris Häuplik, Mitarbeiter in der Ergotherapie, hebt die Unterstützung durch die Klinikleitung hervor. „Ärztlicher Direktor Norbert Ormanns hat dem Vorhaben gleich zugestimmt, sodass wir die Herausforderung annehmen durften“, so Häuplik, der seit 2003 in der Kaufbeurer Forensik arbeitet.
Die ersten 14 Tage befanden sich die zehn Welpen in Quarantäne. Außer einer Pflegerin und der Tierärztin hatte niemand Kontakt zu ihnen. Die Mutterhündin blieb zurück in Niedersachsen. „Erstens war sie so geschwächt, dass sie weitere Wochen mit ihren Welpen wohl nicht überlebt hätte. Und zweitens meldete ihr Besitzer Ansprüche an“, berichtet Eva Schmuck. Die Tiere kamen deshalb ins Ostallgäu, weil das Tierheim Beckstetten noch Kapazitäten hatte. „Die Tierheime sind inzwischen deutschlandweit miteinander vernetzt“, so Häuplik.
Seit einigen Wochen werden abwechselnd jeweils sechs Patienten von ihren Therapeuten jeden Nachmittag per Kleinbus von Kaufbeuren nach Beckstetten gefahren. Die einfache Strecke beträgt 16 Kilometer. In den gut zwei Stunden dazwischen erleben beide Seiten Glücksgefühle. Die kleinen Hunde freuen sich inzwischen buchstäblich „tierisch“ auf ihre täglichen Besucher. Sie können es kaum erwarten, bis sie mit ihnen spielen und herumtollen dürfen und ausgiebig gestreichelt werden. Auch kleine Leckerlis gibt es. Alles findet im Freien statt. Nach 60 bis 90 Minuten sind die meisten der Welpen so platt und ausgepowert, dass sie sich ausruhen müssen. Das geschieht an der Seite der Patienten, an die sie sich liebevoll herankuscheln. Beim Betrachten der Szenerie fällt dem neutralen Beobachter folgende Liedzeile ein, frei nach dem Sänger Herbert Grönemeyer: Hier werden auch die härtesten Männer innen ganz weich.
Für die Patienten ist die tiergestützte Therapie etwas ganz Besonderes. „Das ist brutal sinnstiftend“, sagt Heinz, der seit elf Monaten in der Forensik ist. „Hier kann man was zurückgeben und sieht den Erfolg unmittelbar. Die Hunde reagieren auf das, was man ausstrahlt.“ Seinen Lieblingswelpen nennt er „Baby“. „Sie hat mich ausgesucht, nicht ich sie“, so Heinz.
Auch Lukas ist schwer begeistert. Seit 17 Monaten ist er Patient in der Maßregelvollzugsklinik. „Der Umgang mit den Tieren hier tut mir extremst gut. Er gibt mir einen sehr guten Ausgleich für meine Seele“, verrät er. Sein Lieblingshund ist der mit der weißen Schauze: „Stinki“ nennt er den kleinen Racker. Die tiergestützte Therapie helfe ihm, auf dem Weg zurück in die Freiheit sein Selbstwert zu stabilisieren, berichtet Lukas. Käthe, eine der beiden ausgebildeten Therapiehunde von Eva Schmuck, habe ihm dabei geholfen, seine Grenzen zu erkennen.
Das sind genau die Ziele, die im Vordergrund stehen, wie die beiden Mitarbeiter der Komplementärtherapien Forensik betonen: Emotionen wahrnehmen und damit umgehen; eigene Grenzen und die anderer wahrnehmen und respektieren; Geduld und Ausdauer aufbringen; Verantwortung übernehmen und eigene Bedürfnisse zurückstellen.
Zwei der Vierbeiner konnten bereits vermittelt werden. So, wie die verbliebenen acht kleinen Hunde herumtollen, die Menschen spielerisch anspringen und sie auch mal zwicken, ist schon eine Portion Geduld vonnöten. „Die nächsten Aufgaben der Patienten sind, den Hunden Grundkommandos wie „Sitz“ und „Platz“ beizubringen. Das klappt gut, weil die Tiere unglaublich schnell lernen“, erläutert Eva Schmuck. Zudem gilt es, den Welpen langsam Hundegeschirr anzulegen, damit man mit ihnen Gassi gehen kann. Die Therapeuten werden so lange jeweils von Montag bis Freitag nach Beckstetten kommen, bis alle Welpen vermittelt worden sind. Das ist der Plan.
Patient Heinz geht zusätzlich einmal pro Woche mit älteren Hunden aus dem Tierheim Gassi. Auch Lukas hilft beim Spazierengehen oder bei handwerklichen Tätigkeiten vor Ort mit. „Ich möchte mich später auf jeden Fall in einem Tierheim ehrenamtlich engagieren. Wo in Bayern, ist noch offen“, sagt er.