Europäische Partnerschaften des Bezirks: "Die Begegnung von Mensch zu Mensch ist ausschlaggebend"

26. Mai 2017: 20 Jahre besteht nun die Regionalpartnerschaft des Bezirks Schwaben zur rumänisch-ukrainischen Region Bukowina. Über das Wesen der Partnerschaftsarbeit, ihren Stellenwert im europäischen Kontext und über aktuelle Projekte sprach Bezirkstagspräsident Jürgen Reichert mit der Bayerischen Staatszeitung (veröffentlicht am 19. Mai 2017).
Aktive Partnerschaftsarbeit mit der Bukowina

Der fachliche Austausch ist ein wesentliches Element in der Regionalpartnerschaft zwischen dem Bezirk Schwaben und der Bukowina. So fanden auch zum 20jährigen Jubiläum zahlreiche Workshops statt - hier erläutert Bezirkstagspräsident Jürgen Reichert Mitarbeitern aus dem Sozialbereich in der Ukraine und Rumänien die Struktur der sozialen Hilfen, die der Bezirk gewährt.

Frage:

Herr Bezirkstagspräsident, die Regionalpartnerschaft des Bezirk Schwaben mit der rumänischen Bukowina feierte aktuell ihren 20. Geburtstag – wie kam es dazu?

Antwort: 

Die Verbindung zwischen Schwaben und der Bukowina hat eine lange Geschichte. Augsburger Kaufleute unterhielten bereits vor 450 Jahren rege Handelsbeziehungen in diese Region. Diese Beziehungen überdauerten die Zeit, weshalb im 18. und 19. Jahrhundert auch von Schwaben aus zahlreiche Siedler in die Bukowina zogen, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Die Bukowina wurde zum „Buchenland", war überhaupt eine sehr blühende, aufstrebende Landschaft - Czernowitz, das heute in der Ukraine liegt, war eine der kulturellen Metropolen im österreichischen Kaiserreich. 

Während und nach dem Zweiten Weltkrieg mussten die sogenannten Buchenlanddeutschen die Bukowina verlassen. Viele zog es zurück in die Heimat ihrer Vorfahren, nach Bayerisch-Schwaben. Das war Anlass für den Bezirkstag, bereits 1955 die Patenschaft „für die Volksgruppe der Buchenlanddeutschen" zu übernehmen. 1988 wurde auf Initiative des Bezirks die „Arbeitsstelle zur Erforschung von Geschichte und Kultur der Bukowina" gegründet, aus dem heraus das Bukowina-Institut an der Universität Augsburg entstand. Diese Einrichtung, die überwiegend vom Bezirk Schwaben finanziert wird, hat sich übrigens zu einem der wichtigsten Zentren für mittel- und osteuropäische Forschungsfragen in Deutschland entwickelt. 

Aufgrund dieser Beziehungen und vielfältigen Aktivitäten war es dann einfach ein logischer Schritt, auch eine offizielle Partnerschaft zwischen dem Bezirk Schwaben und den beiden Regionen der Bukowina, die heute aus dem Bezirk Suceava im Nordosten Rumäniens und dem Gebiet Czernowitz im Südwesten der Ukraine bestehen, zu besiegeln. Wir sind schon sehr stolz darauf, dass dies die erste grenzüberschreitende Regionalpartnerschaft im Südosteuropa in der Bundesrepublik war. 

Frage: 

Schwaben steht wirtschaftlich gut da, die Bukowina ist eine der ärmsten Landstriche der EU – leisten Sie auch Unterstützung beim technologischen Knowhow? 

Antwort: 

Grundsätzlich orientiert sich die Partnerschaftsarbeit an den Zuständigkeiten und Kompetenzen des Bezirks Schwaben. Wir konzentrieren uns auf Projekte im Sozialen, mit einem Schwerpunkt auf der Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung, auf Zusammenarbeit und Wissenstransfer in der Psychiatrie sowie auf Projekte im Bereich Kultur und Jugendbildung. Über den Verein „Hilfswerk Bukowina" konnten wir im Bereich Soziales schon sehr viel praktische Hilfe leisten, allein in den rumänischen Kinderheimen, in denen wir bei unserem ersten Besuch nach dem Sturz Ceausescus auf erschütternde Zustände gestoßen sind. Uns war es immer wichtig, nicht „Feuerwehr" mit Geld- und Sachspenden zu spielen, sondern „Hilfe zur Selbsthilfe" beim Aufbau von fachlichen Strukturen zu leisten. 

Konkrete Beispiele dafür sind beispielsweise der Aufbau ambulanter Strukturen in der Psychiatrie in Suecava oder Vermittlung von pädagogischem Fachwissen in den Kinderheimen. Ein Beispiel für praktische Hilfe ist die Einrichtung einer Zahnarztpraxis im Kinderheim Gura Humorolui. Von dort aus wird die zahnärztliche Versorgung der Kinder in allen Kinderheimen des Bezirks Suceava sichergestellt, wir teilen uns mit dem Bezirk Suceava die anfallenden Kosten für den angestellten Zahnarzt. 

Es gibt also keinen Technologie-Transfer im engeren Sinne, wobei wir natürlich schon, wenn es sich ergibt, auch Unternehmen aus Schwaben mit den Regionen der Bukowina in Kontakt bringen. 

Frage:

Was steht aktuell an gemeinsamen Unternehmungen an – etwa beim Jugendaustausch oder bei musikalischen beziehungsweise künstlerischen Veranstaltungen? 

Antwort: 

Schon unser Partnerschaftsjubiläum in der ersten Maiwoche war von der aktiven Einbindung aller Kooperationspartner aus Schwaben und den Partnerregionen geprägt. Es gab neben einem Festakt zahlreiche Workshops in den Bereichen, in denen Zusammenarbeit besteht, also zwischen Kinderheimen, Gehörlosenschulen, Psychiatrie, in der Kultur, Jugend und Bildung sowie bei den Universitäten. Zielsetzung war neben dem Erfahrungsaustausch der gegenseitige „Input" für bedarfsgerechte Partnerschaftsprojekte und die Vernetzung der verschiedenen Kooperationspartner. 

Ansonsten steht 2017 wieder unsere Jugendbegegnung „Vier Regionen für Europa" an, die zu einem Selbstläufer geworden ist: Sie entstand aus der Idee, Jugendfußballmannschaften aus allen vier Regionen - den beiden Teilen der Bukowina, aus der Mayenne, unserer Partnerregion in Frankreich und aus Schwaben - bei einem Turnier, das wechselnd in einer der Regionen stattfindet, zusammenzubringen. Inzwischen wird das Turnier jeweils durch ein kulturelles Projekt - heuer ist es das Thema Stadtfotografie in Cernowitz - ergänzt und bietet so für alle Jugendlichen etwas. 

Daneben werden wir eine Info-Stelle des Bezirks Schwaben in Cernowitz, analog zu der Info-Stelle, die wir 2010 im rumänischen Suceava eröffnet haben, errichten.

Frage: 

Die Partnerschaft Schwabens zur französischen Region Mayenne ist deutlich älter, wodurch unterscheiden sich die Verbindungen? 

Antwort:

Im Département de la Mayenne haben wir von Beginn an Strukturen vorgefunden, die unseren vergleichbar sind, sowohl auf politischer, als auch auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Mit Unterstützung des Bezirks haben sich zahlreiche kommunale Partnerschaften entwickelt. Bürger- und Jugendbegegnungen finden vor allem im Rahmen der Projekte dieser 22 Partnergemeinden statt. Die Rolle des Bezirks Schwaben ist dabei die Unterstützung der Gemeinden, wir bezuschussen beispielsweise gemäß unserer Richtlinien Jugendbegegnungen, wir fördern die Vernetzung und den Austausch, bieten Fachtagungen und Fortbildungen für die Partnerschaftsvereine. 

Auf Ebene des Bezirks und des Bezirks und Conseil Départemental geht es um die Intensivierung der Zusammenarbeit im sozialen Bereich und die Durchführung von multilateralen Projekten gemäß unserer Vereinbarung „Vier Regionen für Europa". 

Die Partnerschaft mit der Bukowina ist natürlich sehr geprägt durch großen Nachholbedarf vor allem im Sozialen und Psychiatriebereich. Hier helfen wir beim Aufbau von Strukturen und geben, wie bereits erläutert, „Hilfe zur Selbsthilfe". Die Vermittlung von kommunalen Partnerschaften ist uns dabei noch nicht gelungen. 

Neben den Sprachbarrieren und den weiten Entfernungen sind die begrenzten finanziellen Ressourcen unserer Partnerregionen, aber auch die teilweise noch instabilen politischen und administrativen Strukturen Erschwernisse bei einem intensiven Austausch.

Frage: 

Inwieweit können Partnerschaften auf kommunaler bzw. regionaler Ebene angesichts einer vom Auseinanderfallen bedrohten EU helfen, den Zusammenhalt zu stärken?

Antwort:

Ganz einfach: Durch die Begegnung von Mensch zu Mensch über Grenzen hinweg. Mit unseren Jugendbegegnungen machen wir seit Jahren die Erfahrung, dass daraus Freundschaften entstehen, dass das Verständnis für die Situation der jungen Leute aus den anderen Regionen wächst, auch das Interesse an deren Lebensumständen und den Verhältnissen in deren jeweiligen Heimatland. Das sind Eindrücke, die oftmals für das Leben prägen - und die jungen Leute nehmen alle mit, wie wichtig es ist, dass wir uns ohne Grenzen und in Frieden in Europa bewegen können.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die europäische Partnerschaftsarbeit, die diese zwischenmenschlichen Begegnungen ermöglicht, der wichtigste Baustein ist, der Europa zusammenhält und auch dem Populismus gleich welcher Couleur entgegenwirkt. Wenn man nach Großbritannien sieht: Es war vor allem die junge Generation, die sich als Europäer versteht und gegen den Brexit gestimmt hat.

Frage:


Was gefällt Ihnen persönlich besonders an der Bukowina oder am Mayenne, haben Sie dort auch private Freundschaften schließen können?

Antwort: 

Beide Regionen haben ihre besonderen Reize. Die Bukowina überrascht mich immer wieder mit ihrer reizvollen Landschaft, das Buchenland gilt ja auch als südosteuropäische Schweiz. Und ich bin jedes Mal wieder überwältigt von dieser wirklich von Herzen kommenden Gastfreundschaft.

An der Mayenne schätze ich sehr die französische Lebensart, das „quoi vivre". Aber auch die fachliche Effizienz, mit der gemeinsame Projekte gesteuert werden. Arbeiten und genießen - das verbindet wohl unsere Mentalitäten. 

Da ich unsere Partnerregionen meist mit kleinen Delegationen gezielt zum Fachaustausch besuche, ergeben sich viele Gelegenheiten zum persönlichen Kennenlernen und Austausch - und daraus sind dann auch sehr gute Freundschaften über die Jahre hinweg entstanden.