BKH Augsburg: „Der Krisendienst ist eine echte Erfolgsgeschichte“
Seit einem Jahr sind die Krisendienste für Menschen in psychischen Notlagen in Bayern rund um die Uhr telefonisch erreichbar – so auch in Schwaben. Sie stoßen mit diesem erweiterten Angebot auf große Resonanz. Darauf hat der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek in diesen Tagen in München hingewiesen. Wie passend, dass am Tag zuvor in der Mehrzweckhalle des Bezirkskrankenhauses (BKH) Augsburg die Leitstelle des Krisendienstes Schwaben eingeweiht wurde. Pandemiebedingt verspätet, weil sie bereits im März 2021 gestartet war, aber dann doch wieder punktgenau, weil ihre Fachkräfte seit Juli 2021 – also seit genau einem Jahr - für Menschen in psychosozialen Krisen und ihre Angehörigen zur Verfügung stehen. Auch die Polizei sowie Behörden und Fachstellen können dort jederzeit unter der kostenfreien Nummer 0800/6553000 anrufen und um Rat fragen – und sie nehmen dieses niederschwellige Angebot gerne wahr.
Waren es anfangs noch etwa 450 Anrufe, so zählt die Leitstelle des Krisendienstes Schwaben mittlerweile 650 Anrufe pro Monat. In vier von fünf Fällen ruft der Klient selbst an, in mehr als 50 Prozent sind es Frauen, berichteten die beiden Leiterinnen der Leitstelle, Dr. Ingrid Bauer und Dr. Lena Grüber. Im Schnitt sind die Klienten 45 Jahre alt. Die meisten Telefonate kommen aus dem Stadtgebiet von Augsburg. In den häufigsten Fällen melden sich die Klientinnen und Klienten wegen depressiven Verstimmungen (17,9 Prozent), gefolgt von Belastungen in der Familie (13,3) und aus Sorge um Angehörige und Bekannte (10,6 Prozent). Eine mögliche Suizidialität liegt 4,3 Prozent der Fälle zugrunde.
Für die Krisendienste sind die bayerischen Bezirke verantwortlich. Die Leitstelle als Teil des Krisendienstes Schwaben, die sich im Ambulanzzentrum des BKH Augsburg befindet, wird von den Bezirkskliniken Schwaben betrieben. Dort arbeitet geschultes Fachpersonal im Drei-Schicht-Betrieb. Mittlerweile sind es insgesamt 16 Mitarbeitende: Ärztinnen, Sozialpädagogen, Psychologen und Fachkrankenpfleger. Wichtiger Bestandteil des Krisendienstes sind auch die Mobile Teams: Sollte eine telefonische Beratung bzw. Hilfestellung nicht ausreichen, müssen Fachkräfte losgeschickt werden. Tagsüber werden sie von der Diakonie und der Caritas als Träger der Sozialpsychiatrischen Dienste (SPDi) gestellt. Nachts, am Wochenende und am Feiertag übernimmt die Krisendienst Schwaben gGmbH diese Aufgabe. „Bislang haben wir bei etwa acht Prozent der Anrufenden unsere mobilen Krisenteams losgeschickt“, informierten die Leiterinnen.
Schwaben arbeitet dabei eng mit dem Bezirk Unterfranken zusammen: Eine Woche landen alle nächtlichen Anrufe in der Leitstelle in Augsburg, die nächste Woche alle in Unterfranken. Das bedeutet, dass die Leitstelle des Krisendienstes Schwaben zu bestimmten Zeiten 3,2 Millionen Menschen in Bayern versorgt; das sind 25 Prozent der gesamten Bevölkerung im Freistaat. „Die besondere Herausforderung für uns war, die längliche Struktur des Gebietes unseres Regierungsbezirkes abzubilden, denn jedes Einsatzteam muss innerhalb von einer Stunde am Einsatzort sein. Das ist bisher immer gelungen“, erläuterte Dr. Grüber. Dazu wurde Schwaben in sieben Regionen eingeteilt. Die Teams sind immer zu zweit unterwegs.
Bezirkstagspräsident Martin Sailer bezeichnete den Krisendienst als „echte Erfolgsgeschichte“. Damit werde Menschen in Schwaben in besonderen seelischen Notlagen niederschwellig geholfen. „Das Projekt hat sich in der Pandemie als besonders wertvoll erwiesen“, stellte Sailer, der zugleich Verwaltungsratsvorsitzender der Bezirkskliniken ist, fest. Er verhehlte nicht, dass es einige Hürden zu überwinden galt und intensive Verhandlungen vonnöten waren, bis alles so weit war. „Der lange Atem hat sich ausgezahlt. Dank echter Teamarbeit und weil einige viel Herzblut in die Sache gesteckt haben, arbeiten Leitstelle, mobile Teams und das örtliche Versorgungsnetzwerk beispielhaft zusammen“, sagte der Bezirkstagspräsident. Sailer führte namentlich seine Stellvertreterin Barbara Holzmann an, Walburga Bram-Kurz von der Bezirksverwaltung als „Mutter des Krisendienstes“ sowie Dr. Marianne Bärhold, die ehemalige Leiterin der Leitstelle. Gedankt wurde unter anderem auch den Vertretern von Diakonie (Markus Bottlang) und Caritas (Dietmar Bauer) sowie allen weiteren Netzwerkpartnern.
Prof. Dr. Alkomiet Hasan, Ärztliche Direktor des BKH Augsburg und Vorstand der Krankenversorgung der Bezirkskliniken Schwaben, bestätigte, dass der Aufbau des Krisendienstes anfangs schwierig war. Heute werde er häufig gefragt, wie es Bayern als einzigem Bundesland gelungen sei, diese „einmalige Sache“ organisatorisch und finanziell auf die Beine zu stellen. Vor dem Hintergrund, dass Betroffene in psychischen Krisen wochen-, teils monatelang auf einen Facharzttermin warten müssten, erfülle der Krisendienst eine wertvolle präklinische Aufgabe lange vor dem Krankenhaus; er sorge dafür, dass Notfalleinweisungen verhindert würden. Prof. Hasan dankte allen Beteiligten, die den „organisatorischen und finanziellen Kraftakt gestemmt“ hätten.
Stefan Brunhuber, Vorstandsvorsitzender der Bezirkskliniken Schwaben, lobte das gute Miteinander, „das wir hier haben“. Dazu trügen Bezirk, Bezirkskliniken, Diakonie, Caritas, Polizei, Behörden, die Krisendienst gGmbH und weitere Partner bei. „Das wächst super-gut zusammen. Wenn alle so dabei bleiben und ihre Sache weiterhin mit Herzblut machen, dann können wir in eine gute Zukunft blicken“, sagte Brunhuber.
Wie wichtig die Zusammenarbeit der Beteiligten im Alltag ist, verdeutlichte ein Fall, der sich tatsächlich so zugetragen hat. Polizeihauptkommissar Thomas Kleinwegen vom Polizeipräsidium Schwaben Süd-West in Kempten und Franziskus Baur, Mitarbeiter der Leitstelle, schilderten, wie eines Tages eine Frau bei der Polizei anrief, weil sie sich um ihren etwa 80 Jahre alten Nachbarn Sorgen machte. Die Beamten fanden in der Folge einen zutiefst verzweifelten Mann vor, in dessen Umfeld zwei wichtige Bezugspersonen binnen kurzer Zeit gestorben waren. Die Polizei meldete sich beim Krisendienst, dieser führte Beratungs- und Entlastungsgespräche und schickte ein mobiles Team zu dem Mann. „Als Nicht-Profis können wir lediglich auf Deeskalation setzen und als Polizei in manchen Fällen gar nicht agieren. Dank des Krisendienstes konnte diesem Mann geholfen werden, sodass er erst gar nicht zum Notfall für uns wurde“, zeigte sich Polizeihauptkommissar Kleinwegen, der viel mit Unterbringungen zu tun hat, dankbar über die Einrichtung des Krisendienstes.
An der Einweihungsfeier nahmen auch die SPDis als Tagdienste und die Leitungen der mobilen „Abend-Wochenend-Feiertag-Dienste“ (AWF-Dienste) teil. Das gesamte Team der Leitstelle stand parat, um Infos zu Technik und ihrer Arbeit zu geben. Dazu hatte es in der Mehrzweckhalle drei Infostellen über die Netzwerkdatenbank, die Telefonanlage und das Klienten Dokumentationsprogramm „Semedi“ aufgebaut. Auch eine virtuelle Führung durch die benachbarte Leitstelle wurde angeboten.