BKH Kempten: Mit jungen Leuten zu arbeiten, ist sein Faible
Artur Göttling kennt Gott und die Welt. Und ihn kennt Gott und die Welt. Kein Wunder: In seinen 36 Dienstjahren am Bezirkskrankenhaus (BKH) Kempten hat er bislang exakt 3532 Schülerinnen und Schüler sowie Praktikant:innen betreut und angeleitet. „Darüber habe ich seit 1991 genau Statistik geführt.“ Außerdem unterrichtete er an der Berufsfachschule für Pflege am Klinikum ganze Generationen von Pflegekräften in der psychiatrischen Krankenpflege. In einigen Wochen wird der dann 64-jährige stellvertretende Pflegedirektor des BKH in den Ruhestand gehen.
Das mit dem Erkennen ist in Corona-Zeiten so eine Sache. „Oft sprechen mich auf der Straße Leute an. Aber wegen der Maske im Gesicht weiß ich nicht gleich, wer mir gegenüber steht“, sagt Göttling. Meist klärt sich das schnell auf. Der gebürtige Kemptener freut sich über die Begegnung, frei nach dem Motto „I will bloß a weng schwätza“. Die Kommunikation ist nicht nur in der Psychiatrie als „sprechendes medizinisches Fach“ wichtig, sondern liegt ihm auch persönlich am Herzen.
Dass er mal bei der Psychiatrie als sein berufliches Umfeld landen würde, hätte sich der gelernte Groß- und Einzelhandelskaufmann anfangs nicht vorstellen können. „Weil ich nicht zur Bundeswehr wollte, habe ich mich beim Bayerischen Roten Kreuz im Katastrophenschutz verpflichtet“, blickt Göttling zurück. Acht Jahre lang fuhr er auch im Rettungsdienst mit. In dieser Zeit kam er in Kontakt mit der psychiatrischen Klinik in Kaufbeuren. An der Berufsfachschule des dortigen BKH startete er im September 1983 eine dreijährige Ausbildung zum Krankenpfleger. „Ich habe nie bereut, dass ich damals nach Kaufbeuren gegangen bin.“
Im Januar 1986 wurde das BKH Kempten eröffnet, damals noch im Freudental in der Stadtmitte. Es war der erste Ableger des BKH Kaufbeuren. Artur Göttling war als Auszubildender, der aus Kempten stammt, in der Planungsgruppe voll dabei. „Eine tolle, ereignisreiche Zeit. Ich konnte mitgestalten und mithelfen, das BKH aufzubauen.“ Voller Energie sei er damals als junger Mensch gewesen. „Mir hat es überhaupt nichts ausgemacht, mehrere Wochenenden am Stück durchzuarbeiten“, erzählt er.
Das BKH im Freudental sei kleiner und familiärer gewesen als das neue an der Robert-Weixler-Straße. In der Mitte der 80er- bis in die 90er-Jahre hinein habe eine Aufbruchsstimmung in der Sozialpsychiatrie vorgeherrscht. Dank der Pionierarbeit des damaligen ärztlichen Direktors des BKH Kaufbeuren, Prof. Dr. Michael von Cranach, verschwanden die großen Wachsäle und die nach Geschlechtern aufgeteilten Patientengruppen in der „Anstalt“. „Zu Beginn hier in Kempten hatten wir sehr viel Zeit für die Patientinnen und Patienten und Freiräume. Wir konnten viele Außenaktivitäten machen, Hüttenfreizeiten unternehmen, in größeren Gruppen zum Baden oder Minigolfen gehen – alles Dinge, die heute undenkbar sind“, blickt Göttling zurück.
Ab 1989 ließ er sich zum Fachpfleger für Psychiatrie ausbilden. Ein sehr guter Abschluss war der Lohn aller Mühen. Ab 1991 war er verantwortlich für Auszubildende und Praktikanten verschiedener Kranken- und Altenpflegeschulen und anderer Bildungsstätten wie Fachoberschulen etc. Er baute die Praxisanleitung am BKH Kempten auf und nahm seit 1988 die praktischen Examen gemeinsam mit den Lehrkräften der Berufsfachschule für Pflege am BKH Kaufbeuren ab.
1993/94 absolvierte der Oberallgäuer ein berufsbegleitendes Seminar an der Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen (Donau) und erwarb sich die Lehrgenehmigung durch die Regierung von Schwaben. Von 1990 bis heute unterrichtet er an der Berufsfachschule des Klinikums Kempten im Fachbereich psychiatrische Krankenpflege.
Im Juli 1997 wurde Göttling zum stellvertretenden Pflegedienstleiter am BKH ernannt. Seit April 2008 - also mit der Gründung der Bezirkskliniken Schwaben als eigenständiges Kommunalunternehmen – ist er stellvertretender Pflegedirektor. Eine Tätigkeit, die ihm immer viel Spaß gemacht hat. „Die Arbeit ist sehr befriedigend, weil man Menschen helfen kann. Man erlebt zwar viele Schicksale, aber auch viel Verbesserung. In der freien Wirtschaft, wo ich herkomme, hatte ich solche Erfahrungen nicht“, beschreibt er die Vorteile des Berufs. Im Übrigen schätzt er den kollegialen Umgang im Haus – ob mit der Krankenhausleitung und den Führungskräften, mit den 125 Mitarbeitenden in der Pflege oder den vielen anderen Berufsgruppen innerhalb des BKH. Mit dem inzwischen verstorbenen Roland Royer und der amtierenden Pflegedirektorin Beatrice Pfirschke habe er „zwei gute Chefs“ gehabt. Pfirschke wird Ende Juni in den Ruhestand gehen.
Das BKH Kempten ist wie seine zweite Heimat geworden. „Da hängt viel Herzblut drin.“ Dort kümmert er sich auch um die interbetrieblichen Fortbildungen. Was er nicht vermissen wird, ist alles, was mit Bürokratie und Administrativem zu tun hat. „Das hat in den vergangenen Jahren ziemlich zugenommen. Und Corona hat alles noch verstärkt“, bedauert der 63-Jährige, dass er in seiner Arbeitszeit so viele Stunden am PC verbringen muss. Ein Meilenstein in seiner beruflichen Laufbahn sei der Umzug des BKH hinauf zum Klinikum an der Robert-Weixler-Straße gewesen. Das war am 15. April 2015. „Das war viel Arbeit. Ich habe mich hier schnell akklimatisiert und sehe die vielen Vorteile am neuen Standort, vor allem für unsere Patienten.“
Dass die Personalstruktur in der Pflege am BKH relativ entspannt ist, hat wohl auch mit den guten Kontakten des stellvertretenden Pflegedirektors zu den Schülern und der Wertschätzung zu tun, die er ihnen entgegenbringt. „Wir sind in der glücklichen Lage, dass jedes Jahr eine Reihe von jungen Menschen bei uns anfangen will. Ich arbeite gerne mit ihnen zusammen. Das ist meine Faible“, sagt er. Vielleicht liegt es auch daran, dass Artur Göttling stets menschlich geblieben ist und den Jüngeren auf Augenhöhe begegnet. Die Schüler und Praktikanten kommen aus Orten wie Lindenberg, Leutkirch und Wangen zum Praxiseinsatz nach Kempten. Ein Beispiel für seine Bodenständigkeit und Unaufgeregtheit ist seine E-Mail-Adresse: In der ist sein Vorname fälschlicherweise mit „th“ hinterlegt, also „Arthur“ statt „Artur“. „Ist mir eigentlich völlig egal. Die Leute wissen, wie sie mich erreichen. Jetzt braucht man das sowieso nicht zu mehr ändern“, sagt Göttling und schmunzelt.
Seine Nachfolge steht bereits fest: Es ist die 31-jährige Tabea Schmid, die bereits als Stationsleiterin im BKH arbeitet. Artur Göttling wird die Pflegewissenschaftlerin ab 1. Februar zwei Monate einlernen, ehe dann Ende März sein letzter Arbeitstag sein wird. Offizieller Termin seines „Unruhestandes“ ist 1. Mai 2022. Göttling freut sich auf die freie Zeit danach, die er mit Gitarre spielen (am liebsten Blues-Songs), Lesen (Biografien und Krimis) und Reisen verbringen will: bevorzugt mit dem Zug quer durch Europa, und am liebsten in seine Traumstadt Wien.