Die neue FONA in Günzburg ist in Betrieb und soll nun mit Leben erfüllt werden
„In der ersten März-Woche 2020 sind wir umgezogen - noch vor der ersten Allgemeinverfügung“, berichtet der zuständige Oberarzt Dr. Dieter Hagmayer. Dann kam das Coronavirus mit voller Wucht, der Katastrophenfall wurde ausgerufen, es folgte der Lockdown. An eine Einweihungsfeier mit vielen geladenen Gästen und freudigem Beisammensein war nicht mehr zu denken.
Für die Inbetriebnahme spielte das keine Rolle. Seit mehreren Monaten unterstützt die Forensische Nachsorgeambulanz nun in neuer Umgebung Forensik-Patienten beim Übergang von ihrer Entlassung aus dem Maßregelvollzug zur möglichst vollständigen Wiedereingliederung in die Gesellschaft. „Dieser Übergang ist gesetzlich verankert. Für jeden aus dem Maßregelvollzug Entlassenen tritt automatisch eine Führungsaufsicht ein“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Manuela Dudeck, Lehrstuhlinhaberin an der Universität Ulm und Ärztliche Direktorin der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie des Bezirkskrankenhauses (BKH) Günzburg. Dazu erlässt die zuständige Strafvollstreckungskammer entsprechende Weisungen. So bietet die FONA einerseits Hilfe bei Bewerbungen, der Wohnungssuche oder bei allen anderen sozialen Problemen an. Andererseits hat sie aber auch Kontrollfunktion: Die psychisch kranken oder suchtkranken Patienten – insgesamt sind es um die 70 – müssen sich regelmäßig Alkohol- und Drogenkontrollen unterziehen. Blutuntersuchungen finden statt, um zum Beispiel die Medikamentenspiegel zu bestimmen. „Im Schnitt bleiben die Patienten zwei bis fünf Jahre unter der Obhut unserer FONA“, sagt Prof. Dudeck.
Die Ärztliche Direktorin ist sehr froh, dass die Zeiten, in denen die Ambulanz „in sehr unzulänglichen, baufälligen Räumen“ im Haus 56 untergebracht war, vorbei sind. „Wir brauchen mehr Leben. Jetzt ist endlich mehr Platz da“, sagt sie. Dr. Hagmayer, der die Forensische Nachsorgeambulanz in Günzburg seit 2015 leitet, zählt die Räume auf, die im Neubau geschaffen wurden: sieben Therapie- und zwei Behandlungszimmer, zwei Konferenzräume, eine große Behindertentoilette, ein Archiv für Patientenakten, ein Technikraum mit Heizungsanlage für die Fußbodenheizung im Gebäude, Elektrik, IT und zentraler Brandmeldeanlage. Herzstück ist das Atrium, ein heller, lichtdurchfluteter Innenhof, um den herum alle Gänge und Zimmer angeordnet sind.
Durchschnittlich bleiben Patienten, die nach Paragraf 64 des Strafgesetzbuches (StGB) in die Günzburger Maßregelvollzugsklinik eingewiesen wurden, zwei Jahre dort. Sie wurden in eine Entziehungsanstalt eingewiesen, weil sie wegen einer Suchtkrankheit straffällig geworden sind oder während der Tat unter Alkohol- oder Drogeneinfluss standen. Der Paragraph 63 StGB bestimmt, dass psychisch kranke und/oder intelligenzgeminderte Straftäter in die Klinik eingewiesen werden. Ihre Unterbringung ist zunächst auf sechs Jahre befristet und richtet sich nach den Behandlungserfolgen des jeweiligen Patienten. „Im Schnitt sind diese Menschen vier bis sechs Jahre bei uns in der Klinik“, berichtet Prof. Dudeck. So ist zu verstehen, warum es notwendig ist, jemanden „an die Hand zu nehmen“, der nach so langer Zeit zurück in die Gesellschaft kommen soll. Fehlte diese Unterstützung und gäbe es nur eine „abrupte Entlassung“, würde er es wohl nicht schaffen und rückfällig werden. Diese Hilfe beginnt bei der Suche nach einer Wohnung, reicht über Beratung bei einer Antragsstellung, Begleitung bei Behördengängen und erstreckt sich bis zur Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt.
In der FONA Günzburg arbeiten Ärzte, (Fach-) Pflegekräfte, Sozialpädagogen, Psychologen sowie eine medizinische Fachangestellte. „Etwa 60 Prozent unserer Arbeit findet bislang aufsuchend statt“, berichtet Dr. Hagmayer. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in Schwaben in einem Gebiet unterwegs, das sich in etwa von Nördlingen bis Memmingen und von Neu-Ulm bis Dasing erstreckt. Wie sieht die Wohnung des Patienten aus? Wie geht es an seinem Arbeitsplatz? Diesen Fragen gehen sie nach und schauen sich vor Ort bei den Betroffenen um „Wenn ein FONA-Patient nicht will, dass man ihn an seiner Arbeitsstelle besucht, dann richten wir uns danach“, ergänzt Prof. Dudeck. Die meisten erfolgreichen Jobvermittlungen kommen über Zeitarbeitsfirmen zustande.
Nach dem Wunsch der Ärztlichen Direktorin und des Einrichtungsleiters sollen die neuen Räume der FONA mit Leben erfüllt werden. Das Coronavirus, dem man mit Abstandsregeln, Distanz und möglichst wenig persönlichen Kontakte begegnete, stand dieser Idee entgegen. „Wir haben die Patienten angeschrieben, welche Angebote sie sich von uns wünschen“, so Prof. Dudeck. Die neue Einrichtung möchte nun – sobald dies möglich ist – beispielsweise Angehörigengruppen, Sozialsprechstunden, Sport- und Ergotherapie sowie Ohrakupunktur anbieten. All dies soll eine möglichst gute Re-Integration der Patienten in die Gesellschaft befördern. Ein Neubau ist das eine, ihn mit Leben zu erfüllen und ein gutes Konzept für die weiteren Schritte zu haben, das andere.
Übrigens: Haus 56 wird kommenden Winter abgerissen und weicht dem Neubau eines Pflegeheimes für den Geschäftsbereich „Wohnen und Fördern“.
Die neue FONA in Günzburg
Was ist eine FONA?
Die Abkürzung steht für Forensische Nachsorgeambulanz. Dort werden psychisch kranke und suchtkranke Straftäter ambulant behandelt, die ihren stationären Aufenthalt in der Klinik für Forensischen Psychiatrie und Psychotherapie hinter sich gebracht haben. Ziel ist es, sie auf den Alltag nach dem Klinikaufenthalt schrittweise vorzubereiten und sie so in die Gesellschaft wiedereinzugliedern.
Wie lange gibt es die FONA schon?
In Günzburg nahm sie ihre Arbeit im Jahr 2009 auf.
Wo war sie bisher untergebracht?
Im Haus 56, dem ehemaligen „Haus Olympia“. Das ist inzwischen aber so baufällig, dass es abgerissen werden soll.
Wo steht die neue FONA?
Im Bereich des ehemaligen Gutshofes, an der Stelle, wo sich früher ein großer, denkmalgeschützter Stadel aus der Günzburger Gründerzeit befand. Dieser fiel am 1. Juli 2015 einem Brand zum Opfer. Die neue Einrichtung passt von ihrer Nutzung perfekt in die Umgebung. Diese bildet mit dem benachbarten Maßregelvollzug, der Gärtnerei als dazugehörige Therapieeinrichtung und dem Haus 80, in dem ehemalige Forensik-Patienten im Rahmen der Eingliederungshilfe in einer betreuten, offenen Wohngruppe untergebracht sind, eine zusammenhängende Therapiekette. Hinzu kommt das Haus 70, in dem der Lehrstuhl für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Ulm untergebracht ist und insgesamt acht wissenschaftliche Mitarbeiter forschen.
Wie ist der Neubau konzipiert?
Das Gebäude wurde in einer Holzständer-Stahlbeton-Kombination errichtet. Es ist ein eingeschossiges Flachdachgebäude mit Funktions-, Technik- und Therapieräumen ohne Keller. Blickfang ist ein Atrium in der Mitte.
Wie hoch waren die Kosten?
1,4 Millionen Euro.
Wie sah der Bauzeitenplan aus?
Laut Architekt Siegfried Maurer (Ulm) wurde die Baugenehmigung im Juli 2017 eingereicht. Im November wurde die Genehmigung erteilt. Symbolischer Spatenstich war am 16. Juli 2018. Umzug ins neue Gebäude war in der ersten März-Woche 2020.