Doppeljubiläum für zwei innovative Behandlungsangebote; 10 Jahre Home Treatment in Zahlen
Heute sind es 30 Patienten, die auf diese Weise parallel versorgt werden. Ziel ist es, dadurch einen stationären Aufenthalt gänzlich zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Angehörige sollen entlastet werden. Heute, gut zehn Jahre später, zeigt sich, dass diese Behandlungsmethode Erfolg hat – wenngleich sie nur für eine begrenzte Zahl von Betroffenen geeignet ist.
Auch für „FIPS“, ein Unterstützungsangebot für Familien mit einem psychisch belasteten Elternteil, gibt es bis dato keine Regelfinanzierung. Die Nachfrage ist um ein Vielfaches größer als das Angebot, das zur Verfügung gestellt werden kann. Home Treatment und FIPS: Beide innovativen Angebote des BKH Günzburg gibt es seit gut zehn Jahren. Dieses Doppeljubiläum nahm die Klinik zum Anlass, eine Feier im Festsaal auszurichten. Etwa 100 Gäste kamen.
Leitender Ärztlicher Direktor Professor Thomas Becker und Dr. Behre hatten die Idee von Home Treatment damals aus Großbritannien mitgebracht. „Ich bin auf einen fahrenden Zug aufgesprungen und habe in Günzburg ein wahnsinnig begeistertes Team vorgefunden“, blickte Dr. Karel Frasch auf die Anfänge zurück. Seit September 2013 gibt es das mobile Krisenteam auch am BKH Donauwörth, berichtete der dortige Ärztliche Direktor. Sechs bis acht Patienten werden dort auf diese Weise gleichzeitig versorgt, insgesamt waren es bisher 113. Die meisten Betroffenen sind Frauen, mehr als die Hälfte von ihnen hat mehrfache Diagnosen psychischer Erkrankungen. Nach dem Wechsel von Frasch nach Nordschwaben übernahm Professor Nicolas Rüsch im Juli 2013 die ärztliche Verantwortung für das Home Treatment in Günzburg.
Beim Home Treatment ist der Patient der Gastgeber, wie die stellvertretende Pflegedirektorin am BKH Günzburg, Katrin Wieser, erläuterte. Er entscheide, was er von seinem Leben preisgibt, in welchem Raum er das Gespräch führt und was er dem Team anbietet. „Voraussetzung ist, dass der Patient einverstanden ist mit seiner Behandlung zu Hause“, so Iris Zimmermann, examinierte Krankenschwester und Systemische Therapeutin (ST). Da könne es schon mal sein, dass erste Gespräche auf der Treppe vor dem Haus geführt werden und nicht im Gebäude.
Menschen in den Landkreisen Günzburg, Neu-Ulm, Dillingen, Augsburg, teilweise auch in den baden-württembergischen Kreisen Heidenheim, Ulm und Alb-Donau-Kreis stehen auf der Besuchsliste. Behandelt werden schwer psychisch Kranke im Umkreis von etwa 30 Kilometern oder solche, die innerhalb einer Fahrtzeit von 30 Minuten erreichbar sind.
Hannes Müller, der im HT-Team die pflegerische Leitung innehat, schilderte, dass die multiprofessionellen Teams mit neutralen Autos zu den Wohnungen der Patienten fahren, um sie dort in gleicher Weise zu behandeln wie in der Klinik auch. Diese Teams bestehen entweder aus zwei Pflegekräften, einem Arzt und einer Pflegekraft oder einer Pflegekraft und einer Sozialpädagogin.
Familientherapeutin Susanne Kilian berichtete über FIPS („Familien in der Psychiatrie“). „Mir haben hilfesuchende Mütter und Väter vom ersten Tag an im Haus 40 die Türen eingerannt.“ Schnell wurden das Angebot und später die Beratungsstelle überregional bekannt. Seit Februar 2008 ist FIPS Bestandteil der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA). Inzwischen habe sie schon 300 Familien betreut – die meisten bis zu einem Jahr lang, manche schon seit zehn Jahren, so Susanne Kilian. „Man ist drin und spürt die Emotion.“ Wie (überlebens-) wichtig diese Arbeit ist, verdeutlichten die Aussagen einer betroffenen Mutter einer 14-jährigen Tochter. „Frau Kilian war meine Rettung. Sie half mir, Mut zu fassen und weiterleben zu wollen“, sagte die 49-Jährige im Festsaal erfrischend und schonungslos offen.
Thomas Düll, Vorstandsvorsitzender der Bezirkskliniken Schwaben, hofft, dass man wenigstens eines dieser beiden „außergewöhnlich innovativen, hoch engagiert praktizierten Angebote in der Lebensumfeld-nahen Versorgung der Menschen“ bald in eine geordnete Finanzierung überführen kann. „Wie es auch kommt: Wir werden dennoch beides weitermachen“, versprach er.
10 Jahre Home Treatment in Zahlen
- Behandelt wurden etwa 1100 Patientinnen und Patienten.
- Es mussten 521 Wochenpläne erstellt werden.
- Es gab 500 Oberarzt-Visiten und 2600 Bürokontakte.
- Dazu gehörten auch gefühlt circa 7000 Kontakte mit Haustieren der Patienten, wie zum Beispiel Spinnen und Frettchen.
- Die Günzburger Home-Treatment-Teams legten bei ihren Fahrten zu den Hausbesuchen mehr als 40000 Kilometer zurück – unfallfrei.