„Es darf sich niemals wiederholen“

10. Juli 2024: 5. Juli 1940. An diesem Tag brachte erstmals einer der berüchtigten „Grauen Busse“ Patientinnen und Patienten aus der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Günzburg in eine der Tötungsanstalten der Nazis. Das geschah im Rahmen der sogenannten Aktion T4, also des „Euthanasie“-Programms des Nationalsozialismus.
Auf den beiden Glasdächern des Pavillons im Rosengarten sind die Namen von 218 „Euthanasie“-Opfern zu lesen. Bild: Georg Schalk, Bezirkskliniken Schwaben

5. Juli 2015. An diesem Tag wurde das „Euthanasie“-Mahnmal im Rosengarten des Bezirkskrankenhauses (BKH) Günzburg eingeweiht. Das Mahnmal war ein Geschenk des Bezirks Schwaben anlässlich des 100-jährigen Bestehens des BKH. Seitdem wird stets am 5. Juli an die Opfer der NS-Krankenmorde erinnert.

5. Juli 2024. Eingebettet in die Veranstaltungsreihe „175 Jahre Psychiatrie in Schwaben“ hat sich die Gedenkstunde auf dem BKH-Gelände erneut den Opfern der Verbrechen der NS-Medizin gewidmet. Die Botschaft war klar: „Was damals passiert ist, dürfen wir nicht vergessen. Es darf sich niemals wiederholen“, sagte Gerhard Becker, Geschäftsleiter von Wohnen und Fördern, dem außerklinischen Bereich der Bezirkskliniken Schwaben. Historikerin Dr. Felicitas Söhner stellte fest: „Es ist wichtig, dass es diesen Gedenkort gibt!“ Dabei verwies sie auf einen aktuellen Vorfall in Mönchengladbach. Dort hatten Unbekannte den Eingangsbereich einer Wohnstätte der Lebenshilfe beschädigt. Ein Ziegelstein mit der Aufschrift „Euthanasie ist die Lösung“ fand sich am Tatort. Offensichtlich hatte man ihn gegen die Eingangstür geworfen. „Angesichts solcher Ereignisse sind wir gefordert, Signale dagegen zu setzen und deutliche Grenzen zu ziehen“, forderte die Privatdozentin. In einer humanistischen, also mitmenschlichen Welt dürfe es keine Diskriminierung geben.

Dr. Söhner verlas einen Brief einer Angehörigen. Darin wird das Schicksal einer 29-jährigen Frau geschildert, die am 8. November 1940 im Rahmen der T4-Aktion von Günzburg aus in die Tötungsanstalt Grafeneck (im heutigen baden-württembergischen Landkreis Reutlingen) gebracht, ermordet und anschließend verbrannt wurde. Sie galt als psychisch krank. Ihr Name steht auf einem der beiden Glas-Dachflächen des Günzburger Mahnmals. Wenn man drunter steht, seinen Kopf nach oben neigt und gen Himmel blickt, findet man ihn und weitere 217 Namen von getöteten Menschen.

„Angesichts des Wissens um das, was früheren Günzburger Patienten in Kaufbeuren widerfahren ist, fragen wir uns immer wieder: Was ist mit den Patientinnen und Patienten geschehen, die in den Jahre 1941 bis 1943 hier in der Heil- und Pflegeanstalt Günzburg verstorben sind, ehe die Patienten ab Dezember 1943 in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren verlegt wurden?“, blickte Becker auf das dunkelste Kapitel der Klinik zurück. Weitere 45 Patienten seien wahrscheinlich durch Hungerkost, Vernachlässigung, die Überdosierung von Medikamenten oder durch eine Kombination dieser Handlungen mit unmittelbarer oder mittelbarer Tötungsabsicht ermordet worden, so der Geschäftsleiter.

Die Heil- und Pfleganstalt Günzburg war laut Becker in diesem Sinne an der sogenannten „regionalisierten“ oder „dezentralen Euthanasie“ beteiligt. „Aus diesem Grund wurde unsere Gedenkstätte auch vor einigen Jahren erweitert. Alle Opfer wollen wir in unser Gedenken mit aufnehmen und unser Erinnern an sie erhalten“, sagte Becker.
Dr. Söhner kritisiert, dass man schlimmen Vorgängen in der NS-Zeit „unerträglich beschönigende“ Namen gegeben habe. Dazu gehört der Begriff „Euthanasie“. Er steht ursprünglich für aus der Sicht des Sterbenden und seiner Angehörigen „guter Tod“, „schöner Tod“ oder „gutes Sterben“. Wegen des euphemistischen Gebrauchs dieses Wortes sollten Krankenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus verschleiert werden. Morde wurden unter dem Vorwand der „Rassenhygiene“ als „Euthanasie“ bezeichnet.

Zur Gedenkfeier waren wieder mehrere Dutzend Patienten, Angehörige und Mitarbeitende der Klinik gekommen. Darunter waren auch der Vorstandsvorsitzende der Bezirkskliniken Schwaben, Stefan Brunhuber, und der kommissarische Ärztliche Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Prof. Matthias Riepe. Pfarrer Thomas Wagner wünscht, dass man aus dem Glauben an Gott heraus die Kraft des Erinnerns haben möge. Die Namen der Opfer und ihre jeweilige Geschichte sollen sichtbar gemacht werden. „Jeder Mensch hat eine unverlierbare Würde“, so der Leiter der Katholischen Klinikseelsorge am Standort. Damit jene, die zu Unrecht und viel zu früh ihr Leben verloren haben, nicht in Vergessenheit geraten, dafür sollen auch die eigens gezüchteten Rosen sorgen, die man hier vor neun Jahren gepflanzt habe. Der dreieinige Gott möge sie wieder erblühen lassen, hofft Pfarrer Wagner.

Musik- und Ergotherapeuten umrahmten die Feier gemeinsam mit Patienten musikalisch. Das verantwortliche Künstlerteam Dr. Horst Hoheisl und Andreas Knitz, die das Denkmal damals gestaltet hatten, waren ebenfalls zur Gedenkfeier nach Günzburg gekommen.