Forensik Kaufbeuren soll nochmal erweitert werden
Eine hochrangige Delegation mit der bayerischen Sozialministerin Carolina Trautner und Bezirkstagspräsident Martin Sailer an der Spitze hat die Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirkskrankenhaus (BKH) Kaufbeuren besucht. Die Maßregelvollzugs-Klinik ist die größte im Bezirk Schwaben. Trautner unterstrich die Bedeutung der Einrichtung für die Gesellschaft und lobte die Mitarbeitenden für ihre tolle Arbeit. Das therapeutische Angebot (siehe eigener Bericht) nannte sie „sensationell“. Auch Sailer zeigte sich nach der Besichtigung beeindruckt. Hier werde „hochprofessionell gearbeitet“ und auf viele Bedürfnisse der Patienten eingegangen, „um jedem ein Stück weit eine Perspektive zu ermöglichen“, so der Bezirkstagspräsident, der zugleich Verwaltungsratsvorsitzender der Bezirkskliniken Schwaben ist. Begleitet wurde Sailer von der neuen Krankenhausreferentin des Bezirks, Sonja Treffler.
Freiwillig sei hier niemand, und gerne hier seien es gerade am Anfang der Therapie die wenigsten, sagte Andrea Grygorowicz, die Leiterin der Ergotherapie. „Deshalb machen wir uns Gedanken, wo wir jeden einzelnen Patienten unterstützen, wo wir ihn abholen können, damit er gerne Therapie macht.“ Gemeinsam werde ein Therapieplan erarbeitet.
Die Forensik ist ein notwendiger Bestandteil der psychiatrischen Versorgung. Dort sind Menschen untergebracht, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung oder Intelligenzminderung mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Sie sind im Maßregelvollzug, weil sie nach Ansicht eines Gerichts eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen haben. Sehr viele Patienten in Kaufbeuren leiden unter einer Suchterkrankung. Alle, die kommen, wurden von Gerichten zugewiesen und werden von Gerichten auch wieder entlassen. Die Patienten unterstehen der Kontrolle durch die Justiz. Die Bezirkskliniken Schwaben sind im Maßregelvollzug im Auftrag des Freistaats Bayern tätig, der ihr diese Aufgabe übertragen hat und der demnach auch für alle Kosten samt der Bauinvestition aufkommt.
Die Wurzeln der Forensik in Kaufbeuren reichen bis ins Jahr 1857 zurück. Damals tauchte zum ersten Mal ein forensischer Patient in den Geschichtsbüchern auf: ein Schuster, der seine drei Kinder umgebracht hatte. Damals hieß das BKH noch Heil- und Pflegeanstalt. Über die Jahre und Jahrzehnte wuchs die Abteilung und breitete sich mit ihren Stationen auf das gesamte BKH-Gelände aus. Waren es früher mal 44 Patienten, die hier untergebracht worden sind, so umfasst die Klinik heute 218 Betten. „Die Forensische Klinik ist seit 2004 eigenständig unter dem Dach des Bezirkskrankenhauses, nachdem die Wichtigkeit der Forensischen Psychiatrie und Psychotherapie erkannt worden war“, führte Ärztlicher Direktor Norbert Ormanns aus. Seitdem leitet er die Klinik.
Drei Abteilungen mit insgesamt neun Stationen gibt es: zwei, in denen jeweils suchtkranke Straftäter entsprechend den Maßregeln der Besserung und Sicherung untergebracht sind (nach § 64 Strafgesetzbuch), und eine für Menschen mit anderen psychischen Erkrankungen (§ 63 StGB). Innerhalb jeder Abteilung gibt es zwei geschlossene und einen offenen Bereich. Je nach Therapieerfolg werden Lockerungsstufen festgelegt. Während Suchtkranke in der Regel maximal zwei Jahre in der Kaufbeurer Forensik bleiben, werden Menschen mit anderen psychischen Erkrankungen wie Psychosen oder Intelligenzminderung mit offenem Ende untergebracht. Zur Klinik gehören auch eine Forensische Nachsorgeambulanz (FONA) und die Spezialtherapie-Abteilung mit Ergotherapie, Therapie-Schreinerei, Bewegungs- und Sportbereich sowie Musiktherapie.
„Die Maßregel ist im Grunde eine Erfolgsstory“, sagte Ärztlicher Direktor Ormanns. „Unser Ziel ist es, jeden Patienten zu entlassen. Das funktioniert sehr gut.“ Während es im Bereich des § 63 StGB kaum Rückfälle gebe, betrage die Abbruchquote bei Suchtkranken zwischen 40 und 50 Prozent. „Das ist deutlich besser als in einer Justizvollzugsanstalt“, ergänzte Ormanns. Rückmeldungen der Patienten am Ende der Therapie im Maßregelvollzug würden dies bestätigen. „Dabei ist die Therapie hier deutlich stressiger, als in der JVA seine Haftstrafe abzusitzen, und der Aufenthalt dauert deutlich länger.“ Oberstes Ziel sei, dass die Menschen nicht mehr straffällig werden. „Unser Job ist aber auch die Sicherung und der Schutz der Bevölkerung. Wir haben da eine hohe Verantwortung“, betonte der Ärztliche Direktor.
Die Leiterin des Amtes für Maßregelvollzugs (Nördlingen), Dr. Dorothea Gaudernack, bestätigte Ormanns Aussagen: „Wir haben eine hohe Erfolgsquote.“ In der Frage, was mit den Patienten nach dem Klinikaufenthalt passiert, sei der Bezirk Schwaben ein Vorreiter. Im außerklinischen Bereich „Wohnen und Fördern“ der Bezirkskliniken werde ein Anschlusssetting angeboten. „Ich wäre froh, wenn andere Bezirke hier nachziehen würden“, so Dr. Gaudernack.
Anfang des Jahres ist der Erweiterungsbau der Forensischen Klinik vollständig in Betrieb gegangen. 32,7 Millionen Euro hat er gekostet. Die Planungszeit dauerte etwa sechs Jahre, der Bau an sich dreieinhalb Jahre. Inzwischen ist schon wieder alles voll. „Wir haben aktuell 232 Patienten. In Anbetracht der Belegungssituation werden wir eine weitere Station mit 20 Betten einrichten. Wir haben dann zehn statt neun Stationen“, kündigte Ormanns an. Woran die hohe Belegungsquote der Forensischen Kliniken – übrigens in ganz Bayern – liegt, könne er nicht sagen. „Wir hängen am Tropf der Justiz, wir müssen aufnehmen.“ Winfried Eberhardinger, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Bezirkskliniken Schwaben, sprach von einer Sägezahn-Kurve, die über die Jahre stetig nach oben gehe. Aktuell hat die Kaufbeurer Forensik 20 Patienten nach § 126a der Strafprozessordnung (StPO): Gerichte ordneten für sie jeweils eine sofortige vorläufige Unterbringung (vergleichbar einer Untersuchungshaft) an. Ormanns: „Das sind so viele, wie wir manchmal das ganze Jahr nicht haben.“ Darunter seien auch zwei demente Patienten.
Die Corona-Zeit hat daran nichts geändert. „Eine Belegungsdelle kann ich nicht feststellen“, berichtete der Ärztliche Direktor. Die Klinik mit ihren Patienten (ausschließlich Männer) und den etwa 250 Beschäftigten sei bislang ohne einen positiven Fall durch die Corona-Krise gekommen.
Die nächsten Bauvorhaben stehen an: So soll das bestehende C-Gebäude (Altbau) saniert werden. Das soll im laufenden Betrieb geschehen – eine große Herausforderung. Die Erneuerung der Fassade und Ertüchtigung der Sicherheitstechnik werden wohl etwa 3,6 Millionen Euro kosten. Die beschriebene Kapazitätserweiterung um eine Station sowie die Sanierung der kompletten Sanitärinstallation schlagen voraussichtlich mit mehr als 4,5 Millionen Euro zu Buche. Beides soll im Mai 2021 in Angriff genommen werden und wird wohl eine Bauzeit von zwei Jahren in Anspruch nehmen. „Wir hoffen auf die Unterstützung des Freistaates und der Genehmigungsbehörden“, sagte Ormanns.
Oberbürgermeister Stefan Bosse und Chefarzt Ormanns betonten die gute Zusammenarbeit zwischen Stadt und Klinik. Ormanns schloss ausdrücklich die Polizei in den Dank mit ein. „Wir sind stolz, dass es diese Einrichtung in Kaufbeuren gibt, und halten zu ihr – in guten wie in schlechten Tagen“, sagte Bosse. So seien „Entweichungsvorgänge“ zwar belastend. Man werbe jedoch um Unterstützung und stehe zur Forensik, „auch wenn es mal schwierig ist“.
Staatsministerin Carolina Trautner und die Delegation machten sich auch ein Bild auf einer Suchtstation. Oberärztin Annette Wagner und Stationsleiter Thomas Hahn informierten die Gäste und führten sie durch die Abteilung. Zum Abschluss des Besuchs traf man sich in der Sporthalle – mit gebotenem Mindestabstand und unter Einhaltung der Hygieneregeln. Trautner, begleitet von Ministerialrat Rudolf Forster vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, bedankte sich für die wertvollen Einblicke. Sie habe den Eindruck, dass hier „eine ganz wichtige Aufgabe sehr verantwortungsbewusst gelebt und umgesetzt“ wird. „Das unglaubliche Therapieangebot, das angeboten wird, ist eine Riesenchance für diejenigen, die hierher kommen, um wieder auf die richtige Bahnen zu kommen“, sagte sie. Das Konzept sei gut durchdacht. Das Geld, das der Freistaat hier investiert hat und noch investieren wird, sei sehr gut angelegt.