Irseer Gespräch zu Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und ihre ethische Normierung.

04. Juni 2019: „Technischer Fortschritt und wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn sind nicht nur in quantitativer Hinsicht zu diskutieren, sondern auch in Bezug auf ihre qualitativen Aspekte“. Irseer Gespräch zu Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und ihre ethische Normierung. Weihbischof Dr. Anton Losinger und Wirtschaftspolitiker Franz Josef Pschierer im Gespräch.
Drittes „Irseer Gespräch“ in Kloster Irsee über ethische Herausforderungen von Digitalisierung, Big Data und Künstlicher Intelligenz.

Es diskutierten (v.l.n.r.): Franz Josef Pschierer MdL; Weihbischof Dr. Anton Losinger, Robert Antretter und Dr. Stefan Raueiser

Einmal jährlich kommen sie auf Einladung des Schwäbischen Bildungszentrums in Kloster Irsee zusammen: Der „Kirchenmann“ Weihbischof Dr.Dr. Anton Losinger und der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und Ehrenvorsitzende der Lebenshilfe, Robert Antretter, mit jeweils einem wechselnden Gast „von außen“. „Im Mittelpunkt der Begegnungen stehen jeweils Themen, die bei aller Notwendigkeit des Streits in der Parlamentarischen Demokratie mehr des Konsenses denn der strittigen Auseinandersetzung zwischen den Parteien bedürfen“, berichtet Dr. Stefan
Raueiser, Leiter des Schwäbischen Bildungszentrums wie des Bildungswerks des Bayerischen Bezirketags. 

Nach Gesprächen zur embryonalen Diagnostik und der möglichen Selektion von Föten mit genetischen Besonderheiten mit dem früheren SPD-Partei- und –Fraktionsvorsitzenden Hans-Jochen Vogel sowie mit dem BUNDNaturschutz-Vorsitzenden Prof. Dr. Hubert Weiger zur päpstlichen Enzyklika „Laudato Si“, ging es im dritten Irseer Gespräch um die ethischen Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung. Dialogpartner war diesmal ein profilierter Wirtschaftspolitiker aus der Region: Landtagsabgeordneter, Wirtschaftsminister a.D. und CSU-Parteivorstandsmitglied Franz Josef Pschierer. 

Auf die Frage, ob ihm bei dem Gedanken an Digitalisierung und Autonomisierung bang werde oder ob er eher optimistisch an die Zukunft denke, meinte Weihbischof Dr. Losinger, selbst Mitglied mehrerer Ethikräte, dass technische Fortentwicklungen sinnvoll und auch unvermeidlich sind. Die Grenze des wissenschaftlichen wie auch des wirtschaftlichen Fortschritts sei aber durch die Grundrechte wie etwa das informelle Selbstbestimmungsrecht des Menschen bestimmt: „Die quantitative Optimierung findet ihre Grenze in qualitativer Hinsicht, wo unaufgebbare Freiheitrechte der Person tangiert werden“. 

„Politik darf nicht nur reagieren, sondern muss mit rechtlichen Normierungen auf Grund allgemein anerkannter ethischer Wertmaßstäbe auch gestalten,“ forderte der Wirtschaftspolitiker Pschierer: „Wir müssen dafür sorgen, dass solche Themen wieder grundsätzlicher diskutiert werden. Dazu brauchen wir eine neue Kultur der Politikberatung.“ Volkswirtschaftliche Effizienzsteigerungen seien insbesondere dann besonders sensibel, wenn der zwischenmenschliche Bereich berührt wird, wie etwa im Einsatz von Pflege-Robotern, die die mitmenschliche Kommunikation, oder bei computerisierten Diagnose-Algorithmen, die das Arzt-Patient-Gespräch nicht ersetzen dürfen.

Die Diskutanten waren sich einig, dass besonders in Bezug auf Künstliche Intelligenz („KI“) und digitale Datenverarbeitung („big data“) das Spannungsfeld neuartiger analytischer und diagnostischer Möglichkeiten mit den damit einhergehenden Gefahren einer Totalüberwachung genau beobachtet werden muss: „Technischer Fortschritt und wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn sind nicht nur in quantitativer Hinsicht zu diskutieren, sondern auch in Bezug auf ihre qualitativen Aspekte“, forderte Weihbischof Dr. Anton Losinger. „Hier sehe ich Normierungs- und Regelungsbedarf insbesondere auf europäischer Ebene“, betonte Franz Pschierer, während der Ehrenvorsitzende der Lebenshilfe, Robert Antretter hervorhob: „Ethische Gesichtspunkte in die Debatte einzuführen, ist kein Zeichen von ‚german Angst‘. Eine besondere Sensibilität für moralische Grundfragen steht einem Land wie Deutschland mit seiner Vergangenheit gut zu Gesicht und ist in der europäischen Debatte unbedingt notwendig.“

Die Runde setzte durchaus unterschiedliche Akzente, war sich aber darin einig, dass Politik global auf gemeinsame, international gültige verbindliche Standards hinwirken müsse; denn: Menschenrechte sind unteilbar und sie sind untrennbar mit der Würde der menschlichen Person verbunden. Das Tagungs-, Bildungs- und Kulturzentrum des Bezirks Schwaben mit seinem Gedenken an die Opfer der NS-„Euthanasie“ ist daher bewusst gewählter Veranstaltungsort dieser hochkarätig besetzten Dialogrunden.