Verleihung des Schwäbischen Literaturpreises 2017 mit dem Thema „Spielen“
Augsburg (pm). Mit dem Motto „Spielen“ hatte der 13. Schwäbische Literaturpreis ein Thema gesetzt, das nah am Leben gehalten, zahlreiche Alltagssituationen widerspiegelt und vielleicht auch daher eine große Beteiligung hervorrief: „Spielen ist etwas, was alle Menschen können“, sagte Bezirkstagspräsident Jürgen Reichert bei der Eröffnung und begründete damit die hohe Beteiligung mit 146 Einsendungen, davon 22 von jungen Autoren unter 25 Jahren: „Für uns stellt das ein deutliches Zeichen für seine Etablierung im deutschsprachigen Literaturbetrieb dar.“ Er beglückwünschte die Autoren zu Ihrem Einfallsreichtum und der Originalität ihrer Texte: „Eine Bereicherung für die schwäbische Literaturlandschaft!“ Reichert unterstrich, dass der Bezirk Schwaben mit Überzeugung neue und auch junge Autoren fördert, unterstützt von einer externen Fachjury.
Eingeladen waren Autoren, die im schwäbisch-alemannischen Kulturraum leben oder in diesem ihre biographischen Wurzeln haben. Die Teilnehmer kamen überwiegend aus Baden-Württemberg und dem bayerischen Regierungsbezirk Schwaben. Neun Einsendungen stammten aus dem Ausland, vor allem aus Österreich. Die Verleihung fand am 14. November in Augsburg statt. Die Preisträger:
1. Preis Eleonora Hummel (Dresden); 2. Preis Michaela Hanel (Balingen/Baden-Württemberg); 3. Preis Jos Schneider (Augsburg); Sonderpreis „Junge Autorin unter 25“ an Marie Saverino (Hildesheim).
Der Bezirk Schwaben will Autoren anregen, ermuntern, fördern, präsentieren und auszeichnen. Neben dem Deutschen Literaturinstitut Leipzig und der Universität Hildesheim (Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus) begegnet immer mehr die Universität Augsburg als literarische Ausbildungsstätte und Impulsgeber, freute sich Bezirksheimatpfleger Dr. Peter Fassl. Allein vier Autoren dieser Anthologie, darunter der dritte Preisträger, Jos Schneider, wurden hier ausgebildet.
Als Initiator des Schwäbischen Literaturpreises verwies Peter Fassl auf die große Bandbreite der Schilderungen zum Thema Spielen: „Dieses Motiv eröffnete unseren Autoren ein weites Feld von autobiographisch geprägten Erinnerungsberichten. Spielen ist menschlich. Gespielt wird in allen Kulturen, in allen Lebensaltern“, so Fassl. „Am meisten gespielt wird in der Kindheit – und heute im Alter, wie mehrere Autoren zeigen. Irgendwie hat man das Gefühl, dass Spiel und Leben gar nicht so weit von einander entfernt sind, und Freud und Leid sich annähernd ausgleichen“, resümierte der Bezirksheimatpfleger.
1. Preis: Eleonora Hummel (Dresden)
Das klassische Spiel der Erwachsenen ist das Theater. Mit leichter Hand schildert Eleonora Hummel das Schicksal einer russlanddeutschen Familie am Beispiel des jungen Traktoristen Arnold Bungert. Im Schnellkurs lernt er einige Sätze Deutsch und erreicht mangels geeigneter Mitbewerber die Aufnahme in die deutsche Schauspielschule in Moskau. Historischer Hintergrund: Die Sowjetregierung beschloss 1975, ein deutschsprachiges Theater für die deutschen Siedlungsgebiete aufzubauen. Das fand aber wegen des sukzessiven Verschwindens der deutschen Sprache und der massenhaften Abwanderung der Russlanddeutschen kein Publikum mehr.
In der Erzählung „Der Junge vom Feld“ erleben wir dessen Aufbruch hinaus in die Welt, seine Verwurzeltheit in der sprachlichen Welt seiner Vorfahren und der hergebrachten lutherischen Religiosität: „Sie behandelt die Fragen der kulturellen Identität, der Sprache als Heimat, der Rolle der Kunst als Medium des Widerstands und die Selbstbehauptung im sowjetischen System“, schreibt Hummels Laudator Oswald Burger. Ihre Texte thematisieren, „wie aus deutschen Russen russische Deutsche wurden, welche sprachlichen und seelischen Schmerzen dies verursachte“. Hummels literarische Aufarbeitung des Schicksals der Russlanddeutschen wurde von der Literaturkritik hoch gelobt und trug ihr zahlreiche Ehrungen und Förderungen ein. Die Vorfahren der Autorin stammen aus dem schwäbischen Esslingen, wanderten 1805 in die deutsche Kolonie Neuburg bei Odessa aus und wurden 1941 als Deutschstämmige unter Stalin aus der Ukraine nach Kasachstan deportiert, wo auch die Autorin 1970 geboren wurde. 1982 übersiedelte die Familie in der Breschnew-Zeit nach Dresden.
2. Preis: Michaela Hanel (Balingen)
Michaela Hanel folgt der jungen Schauspielerin Leevke, die sich auf die Aufnahmeprüfung in der Schauspielschule vorbereitet. Aber für die junge Frau ist es irgendwie mehr als ein Spiel, es geht um die Grenzen zwischen Eigenem und Fremden und dem ´willenlosen Geführtwerden´. Der kurze Einblick in die vorliegende, kurze Erzählung ´Leevke´ lässt bereits erkennen, welche seelischen Untiefen der geplante, sich daraus weiter entwickelnde Roman noch ausloten wird, mutmaßt ihr Laudator Sebastian Seidel. Michaela Hanel schreibt über zwei Freundinnen: Über die psychisch kranke Leevke, die als „Borderlinerin“ aus der Klinik entlassen wurde und Schauspielerin werden will. Und über die vereinsamte Hanna, die Leevkes rettender Anker ist. Ihre intensive Freundschaft entpuppt sich aber immer mehr als gefährliche Abhängigkeit, verrät die Autorin. „Aus Michaela Hanels Lebenslauf lässt sich nur erahnen, wie viel Herzblut und Lebenserfahrung aus ihrem beruflichen Umfeld in die schriftstellerische Arbeit eingeflossen ist“, vermutet Sebastian Seidel. Michaela Hanel arbeitet als Psychologin und Bezugstherapeutin in einer psychosomatisch-psychotherapeutischen Klinik. Daneben veröffentlicht sie als Autorin in Literaturzeitschriften und Anthologien.
3. Preis: Jos Schneider (Augsburg)
Kinderspiele sind heiter, sorglos, phantasievoll und selbstvergessen und daher oft tödlich – so beim Schneemannbau einer Gruppe von Kindern auf einem Bahngleis. Man fürchtet in der Geschichte „Caligo“ von Jos Schneider das unheilvolle Ende, als der kleinste Spielkamerad am Bahndamm erwähnt wird. „Der Text ist gebaut wie ein Film“, charakterisiert Schneiders Laudator Michael Friedrichs die übergangslos aneinander gesetzten Szenen: „Ein sehr dichter Text, dicht wie das Schneegestöber, in dem der Zugführer nicht erkennen kann, auf was da sein Zug aufprallt. Die Vokabel „Caligo“ bezeichnet neben, Rauch, Dunst und Nebel auch Dunkel, Finsternis oder sogar Schwindelgefühl“.
Der Augsburger Jos Schneider, geboren 1982 in Siebenbürgen, arbeitet nach seinem literaturwissenschaftlichen Studium an der Universität Augsburg als Redakteur und Lektor in München. Jos Schneider sieht sich eher als Lyriker und schätzt den, wie er sagt, „Spiel- und Probieraspekt“ von Literatur und Sprache. 2015 erhielt er den Kunstförderpreis der Stadt Augsburg in der Sparte Literatur. „Wir freuen uns sehr über die auffällige Zahl junger Autorinnen und Autoren mit einem Bezug zur Universität Augsburg“, betont Michael Friedrichs und fragt: „ Entsteht hier in aller Stille eine Dichterschmiede?“
Sonderpreis junge Autorin unter 25: Marie Saverino (Hildesheim)
Die Gewinnerin des Nachwuchspreises Marie Saverino hat uns liebevoll ein Vater-Sizilienbild beschrieben, in dem man tanzt, singt, gut isst, alles duftet, das Meer nie verschwindet und die Genialität der Verwandten den trüben Alltag in Deutschland aufhellt. „Dieser Text kommt ganz ohne ‚Gastarbeiter‘ - Klischees aus, seine Vaterfigur ist ein aus vielen Traditionen bekannter Schelm und ein begnadeter Geschichtenerfinder“ befindet ihr Laudator Friedmann Harzer: „Marie Saverino arbeitet absatzweise mit szenischen Dialogen, Erinnerungsberichten und Reflexionen. Leipzig oder Hildesheim – bei vielen Nachwuchsautoren klingelt es, wenn sie diese Namen hören“, weiß der Literaturwissenschaftler: „Hier kann man literarisches und kreatives Schreiben studieren – allerdings nur, wenn man einen der wenigen und begehrten Plätze ergattert.“ In diesem Jahr hat die 1994 in Villingen geborene Autorin das Hildesheimer Bachelor-Studium ´Kulturjournalismus und kreatives Schreiben‘ abgeschlossen. Sie ist auf beiden Seiten des Literaturbetriebs aktiv und hat bereits einige Geschichten in literarischen Zeitschriften der Uni Hildesheim herausgebracht und sie schreibt Artikel, Rezensionen und Interviews für Journale wie die Hamburger „kulturnews“.
Der Schwäbische Literaturpreis
Dotierungen: 1. Preis 2.000 Euro; 2. Preis 1.500 Euro; 3. Preis 1.000 Euro. Ein Sonderpreis für einen jungen Autor/junge Autorin (bis 25 Jahre) wird als Einladung zum Meisterkurs Literatur beim Schwäbischen Kunstsommer an der Schwabenakademie Irsee (Landkreis Ostallgäu) vergeben.
Jury
Die Jury setzte sich zusammen aus Oswald Burger, Literarisches Forum Oberschwaben; Bezirksheimatpfleger Dr. Peter Fassl; Dr. Michael Friedrichs, Wißner-Verlag; Dr. Friedmann Harzer, Universität Augsburg; Dr. Berndt Herrmann, Redaktionsleiter Aichacher Zeitung; Dr. Ulrike Längle, Franz-Michael-Felder-Archiv in Bregenz; Dr. Sebastian Seidel, Sensemble Theater Augsburg. Den Vorsitz hatte Dr. Michael Friedrichs.
Anthologie
Spielen, Wißner-Verlag Augsburg, ISBN 978-3-95786-140-5; 216 Seiten, 12,80 Euro; Herausgeber Dr. Peter Fassl
Information
Bezirksheimatpfleger Dr. Peter Fassl, Telefon 0821/3101-310; Heimatpflege@Bezirk-Schwaben.de; www.bezirk-schwaben.de
Bildunterschrift
Bei der Verleihung des Schwäbischen Literaturpreises am 14. November in Augsburg: Bezirkstagspräsident Jürgen Reichert (l.) und Bezirksheimatpfleger Dr. Peter Fassl (r.) freuen sich mit den Preisträgern Michaela Hanel aus Balingen(2. Preis), Eleonora Hummel aus Dresden (1. Preis), dem Augsburger Jos Schneider (3. Preis) sowie der „Jungen Autorin unter 25“, Marie Saverino aus Hildesheim, über die Auszeichnungen (Foto: Andreas Lode).