Selbstbestimmung statt "fürsorglicher Belagerung": Fachtag in Memmingen mit und für Menschen mit Behinderung
Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem Bezirk Schwaben statt. In großer Zahl erschienen Betroffene, Vertreter aus der Politik, Verwaltungsmitarbeiter sowie Fachleute aus den sozialen Einrichtungen der Region.
„Es ist mir wichtig, für die Angelegenheiten von uns Menschen mit Behinderung vor Ort im Gespräch zu sein“, betonte Irmgard Badura. Memmingens Oberbürgermeister Manfred Schilder und Bezirkstagspräsident Jürgen Reichert begrüßten die Veranstaltungsreihe „Miteinander vor Ort“ in Schwaben, bei der insbesondere Menschen mit psychischen Erkrankungen aus dem Raum Memmingen und dem Unterallgäu zu Wort kamen. „In Memmingen und im Landkreis Unterallgäu zeigt sich beispielhaft, wie gut die Vernetzung der Akteure und der Angebote zum Wohl der betroffenen Menschen funktionieren kann“, so Bezirkstagspräsident Reichert. Er hob insbesondere den Gemeindepsychiatrischen Verbund (GPV) hervor, für den der Bezirk Schwaben eine hauptamtliche Koordinatorin stellt. Ein vorbildliches Beispiel sei auch das Netzwerk „Altenhilfe und seelische Gesundheit“, hervorzuheben sei über dies das hohe außerdienstliche Engagement aller Akteure in der Sozialpsychiatrie und aus dem Bezirkskrankenhaus Memmingen. So sei Dr. Raimund Steber, stellvertretender ärztlicher Direktor der Klinik zugleich auch GPV-Vorsitzender.
Wichtig sei bei allen Aktivitäten, dass die Kompetenzen psychisch erkrankter beziehungsweise behinderter Menschen gestärkt würden und ihre Selbständigkeit gewürdigt und gefördert werde betonte Raimund Mittler von der Sozialverwaltung des Bezirks Schwaben, der die Gruppe STARK vorstellte, in der Menschen mit Behinderung selbst ein Ehrenamt übernehmen. Raimund Mittler ist seitens der Bezirksverwaltung auch zuständig für das Projekt „EX-IN“ beim Bezirk Schwaben, das Robert Bock präsentierte.
Dass Arbeit psychisch krank machen kann, hat der ehemalige Geschäftsführer eines internationalen Unternehmens selbst erfahren. „Im Wartezimmer der Psychiatrie blickte ich damals auf die Uhr und mir wurde bewusst: Genau jetzt, um 9:04 Uhr, war mein erstes Leben vorbei. Burn-Out und schwere Depressionen lautete meine Diagnose“, so Robert Bock. Ins Leben zurückgekämpft habe er sich schrittweise. Geholfen habe dabei auch das Programm „EX-IN“ heißt das Programm, über das er gemeinsam mit anderen ins Berufsleben zurückfand. Heute hilft mit seiner Psychiatrie-Erfahrung anderen Betroffenen und berät Unternehmen zu Themen wie Prävention und Genesungsbegleitung.
Seine Stärken entdecken und selbst wirksam werden – das möchte auch der Selbstvertretungskreis „Stark“ für Menschen mit Psychiatrieerfahrung bei Regens Wagner Lautrach. „Wir setzen uns gemeinsam mit unseren Wünschen und Lebenszielen auseinander,“ erzählt Nina Krötzsch. Die Fragen ‚Was ich will‘ und ‚Welche Möglichkeiten ich habe, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen‘ stehen dabei im Vordergrund.
Erste Schritte zur Inklusion am Arbeitsmarkt hat Manuel Werner selbst erfahren. An zwei Tagen in der Woche arbeitet er bei der Firma Rapunzel in Bad Grönenbach und drei Tage in der Werkstatt in Lautrach. „Die Kollegen akzeptieren mich, sie fragen auch mal nach, ob alles in Ordnung ist und es mir gut geht.“
Jana Blessing kann aufgrund ihrer seelischen Erkrankung nicht sprechen. „Warum ich bei der Gruppe Stark bin?,“ fragt die Sprecherin für Jana Blessing. „Weil ich hier lerne, zu mir und meiner Erkrankung zu stehen. Ich kann mich mit anderen austauschen und mich gleichzeitig für andere stark machen“.
Den Fachvortrag zum Thema hielt die Diplom-Psychologin Renate Windisch, Betriebsleiterin der Isar-Würm-Lech Werkstätten, IWL gGmbH, unter dem Titel „Empowerment in der Arbeit mit Menschen mit einer psychischen Erkrankung - Plädoyer für eine Ressourcenperspektive“. Es gehe darum, sich von der „fürsorglichen Belagerung“ durch die Fachkräfte und vom Blick auf die Defizite der Menschen mit Behinderung abzuwenden, dagegen stärker deren Ressourcen und Fähigkeiten in der Vordergrund zu stellen.
„Wir brauchen die Anerkennung von „Eigen–Sinn“, also Achtung vor der Autonomie und der Selbstverantwortung des Klienten und der Respekt auch vor unkonventionellen Lebensentwürfen“, betonte die Diplom-Psychologin und Ergotherapeutin. Durch mehr Selbstbestimmung wachse auch das Vertrauen der Klienten in ihre eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen. Die Referentin zeigte an Praxisbeispielen auf, wie dies in den Isar-Würm-Lech-Werkstätten konzeptionell umgesetzt wird.