Wechsel an der Spitze der Berufsfachschule für Pflege am Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren
Wenn Markus Ellenrieder im Allgäu oder in Nordschwaben unterwegs ist, wird er oft angesprochen: „Hallo Herr Ellenrieder, kennen Sie mich noch?“ Meist ist es ein ehemaliger Schüler, eine ehemaliger Schülerin. „Man fühlt sich fast so wie ein Promi“, sagt der 63-Jährige und lacht. Dabei ist er alles, bloß kein ehrenkäsiger Mensch. Ellenrieder ist Leiter der Berufsfachschule für Pflege am Bezirkskrankenhaus (BKH) Kaufbeuren – und das schon seit 15 Jahren. Davor war er zehn Jahre stellvertretender Leiter. Und an Schule arbeitet er schon seit 1986. In all der Zeit ist der gebürtige Augsburger, der seit 1987 mit seiner Familie in Kaufbeuren wohnt, bodenständig geblieben. „Ich habe in meiner Zeit hier an der Schule 1380 Schülerinnen und Schüler in 51 Klassen ausgebildet“, hat er errechnet. Kein Wunder, dass ihn viele kennen. Die Zeit als Schulleiter neigt sich nun dem Ende entgegen: Zum Jahresende geht Ellenrieder in den Ruhestand. Sein letzter Arbeitstag war am 1. Dezember. „Es ist ein großes Privileg, dass ich in den Ruhestand gehen darf. Darüber bin ich froh. Ob ich mich freue, weiß ich noch nicht“, sagt er vor besagtem Tag etwas nachdenklich. Er steuere auf ein Vakuum zu, „das noch keiner kennt“.
Bevor er 1976 am damaligen Westkrankenhaus in Augsburg eine Ausbildung zum Krankenpfleger begann, wollte er eigentlich Logopäde werden. Doch es gab keine Aussicht auf eine Arbeitsstelle. Er schloss eine Ausbildung als Krankenpfleger ab und arbeitete drei Jahre auf einer internen Intensivstation, anschließend in einem Dialysezentrum am Stadtrand. 1984 absolvierte er eine Lehrerausbildung in München. „Damals gab es eine freie Stelle an der Berufsfachschule am BKH Kaufbeuren. Ich bewarb mich und bekam die Stelle“, erzählt er. Damals war das BKH wie eine „Stadt in der Stadt“: Man war quasi autark und versorgte sich selbst.
Es folgte ein Studium der Pflegewissenschaften im englischen Cardiff mit dem Schwerpunkt Gesundheitsförderung und Pädagogik. Dieses schloss er 2010 mit dem Master of Science ab. Seine Masterarbeit beschäftigte sich mit dem Thema „Das Rauchverhalten junger Auszubildender in der Pflege“. Ellenrieder ging der Frage auf den Grund, ob 17- bis 20-Jährige, die als Pflegekräfte arbeiten, eher mit dem Rauchen aufhören, wenn sie Patienten sehen, die an Lungenkrebs erkrankt sind oder bei denen ein Bein amputiert werden musste. Ergebnis: Deswegen hörten nicht mehr auf als andere Raucher. Er selbst fing wieder mit dem Rauchen an. „Warum, weiß ich nicht“, sagt er heute achselzuckend.
Wissbegierig und innovativ ist Ellenrieder Zeit seines Berufslebens geblieben. Ab 2004 nahm die Berufsfachschule der Bezirkskliniken Schwaben am BKH Kaufbeuren (auf dem Klinikareal nebenan gibt es eine zweite Pflegeschule; sie gehört zum Klinikverbund Ostallgäu-Kaufbeuren) im Auftrag der bayerischen Staatsregierung am Schulversuch „Integrative Ausbildung“ teil. Ab 2010 war sie beim Modellversuch „Generalistische Pflegeausbildung“ dabei. Sie war damit anfangs eine von drei in Bayern und die einzige in Schwaben. Das Modell stand Pate für das neue Pflegeberufegesetz, dass seit Anfang 2020 in ganz Deutschland gilt.
Was viele nicht wissen: Ellenrieder unterstützte die neue Weichenstellung nicht nur, er wirkte sogar zweimal am Rahmenlehrplan für die generalistische Pflegeausbildung aktiv im Auftrag des Kultusministeriums Bayern mit. Der Lehrplan gibt genau vor, wie die Ausbildung in Theorie und Praxis ablaufen soll und welche Inhalte sie hat. „Die Generalistik war genau mein Ding“, sagt der 63-Jährige aus voller Überzeugung. Mit ihr wurden die bis dato getrennten Berufsausbildungen der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zusammengeführt. „Die jetzige Ausbildung bedeutet eine generationenübergreifende Fürsorge von Menschen – vom Neugeborenen bis zum betagten Senior.“ Der scheidende Schulleiter wirft an dieser Stelle ein, dass Deutschland zuvor innerhalb Europas und der Welt das einige Land war, das diese Berufe getrennt ausgebildet hatte. „Man konnte sich mit anderen gar nicht richtig austauschen, weil ihre und unsere Lerninhalte nicht miteinander vergleichbar waren.“
Die Pflegeschule des BKH – sie feiert 2022 übrigens ihr hundertjähriges Bestehen – musste im Allgäu ein enges Netzwerk mit aufbauen, um die Schülerinnen und Schüler für ihren Praxiseinsatz mit den Kooperationspartnern austauschen zu können. Auch das hat Markus Ellenrieder forciert. Seine Einrichtung arbeitet eng zusammen mit den Kliniken Ostallgäu Kaufbeuren und ihren Häusern in Kaufbeuren, Buchloe und Füssen, mit dem Klinikum Kempten, mit dem Krankenhaus in Pfronten, mit der Klinikgruppe Enzensberg und diversen Pflegeheimen. „Das war nur möglich dank meines sagenhaften Teams, das meinen Weg mitgegangen ist. Wir denken alle generalistisch“, betont Ellenrieder. Das Team besteht aus 14 Mitarbeitenden, darunter elf Pädagog:innen.
In den bayerischen Schulversuchen wurde eine Zentralprüfung eingeführt: Wie beim Abitur wurde den Absolvent:innen am gleichen Tag zur gleichen Zeit die gleichen Prüfung vorgelegt. Die Fragen hat Ellenrieder erstellt. „Kaum jemand weiß, dass viele junge Menschen in Bayern Fragen beantworten mussten, die von mir mitentwickelt wurden“, sagt der 63-Jährige mit einem Augenzwinkern.
Innerhalb seiner Berufsfachschule wurde der digitale Wandel vorangetrieben – so schnell es eben ging und stets im Rahmen der Möglichkeiten. Die Einrichtung führte im September 2020 die digitale Kommunikations-Plattform MyIKE für Schüler, Lehrer und Dozenten ein. Im Gebäude halten neue Medien Einzug. Gelehrt wird in den Klassenzimmern an sogenannten Aktivboards, Daten können bald aus einer Cloud abgerufen und darauf dargestellt werden. Außerdem beschäftigt man sich mit „Team-Teaching“ und der Künstlichen Intelligenz als Teil des Krankenhauses der Zukunft. „Nur so kann man die jungen Leute heutzutage abholen und gewinnen“, sagt der Schulleiter. Die Corona-Pandemie hat bei der Digitalisierung einiges beschleunigt.
Dennoch hätte Markus Ellenrieder zum Ende seiner beruflichen Karriere gerne auf Corona verzichtet. Zum einen, weil er 18 Monate lang stapelweise Verordnungen und Bestimmungen lesen, umsetzen und wissen musste, welche Regelungen nun gerade gelten; zum anderen, weil er selbst schwer an dem Virus erkrankte. An Weihnachten 2020 musste er sechs Tage im Krankenhaus verbringen. „Ich bin glücklicherweise so um eine Beatmung herumgekommen. Aber ich leide immer noch an Long-Covid.“ Treppensteigen fällt ihm schwer, Schnee schnippen geht gar nicht. Ellenrieder: „Das Coronavirus ist keine Grippe. Es kennt kein Mitleid.“
Ganz wird er „seiner“ Schule“ nicht verloren gehen. Markus Ellenrieder hat sich auf Bitten des Vorstands der Bezirkskliniken bereiterklärt, seine Nachfolgerin einzuarbeiten und ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen – allerdings nicht mehr in Vollzeit, sondern auf 450-Euro-Basis. Sophie Sauer, so heißt seine Nachfolgerin, ist 31 Jahre alt, Pflegepädagogin und erst seit September 2020 an der Schule.
Ansonsten freut sich der dreifache Familienvater, der drei Enkelkinder hat, auf die Zeit danach. Er kocht leidenschaftlich gern und ist mit seiner Frau Gabriele, die bei der Kripo Kaufbeuren arbeitet, und den Mitgliedern der Betriebssportgruppe am BKH bis vor dem Ausbruch der Pandemie regelmäßig Motorrad gefahren. „Mal sehen, ob wir das wieder aufleben lassen. Ich gehöre ja inzwischen zur vulnerablen Gruppe“, sagt er und schmunzelt. Ehrenämter wie den Vorsitz beim TV Kaufbeuren oder im Vorstand des örtlichen Generationenhauses hat er mittlerweile abgegeben. Eines seiner großen Hobbys ist das Reisen. Und hier hat Ellenrieder einen großen Wunsch. „Ich will bei einer Schnorcheltour Walhaie sehen. Das ist zum Beispiel in Mexiko möglich.“ Ob Schnorcheln und Fliegen angesichts seiner Covid-Erkrankung jedoch möglich sein werden, werde er noch mit seinem behandelnden Arzt besprechen müssen.
So oder so: Der Kaufbeurer Schulleiter bleibt positiv. „Alles hat seine Zeit. Bis dato war meine Zeit, jetzt kommt eine andere“, sagt er in sich ruhend.